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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot
Autoren: Roland Stark
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Aulhausen?«
    Der zweite Brief war in einer zwanghaft exakten und
eckigen Schrift verfasst worden, mit blauer Tinte auf schwerem Papier mit
Wasserzeichen.
    Sylvia!
    Ich weiß nicht, wie du
die Schuld, die du auf dich geladen hast, jemals abtragen willst. Du hast das
Schlimmste getan, was man überhaupt tun kann vor Gott und den Menschen: Du hast
eine Familie zerstört. Genau genommen hast du zwei Familien zerstört, meine und
unsere gemeinsame.
    Als der Herr unseren
ersten Sohn zu sich nahm, da dachte ich, eine schlimmere Prüfung kann er uns
nicht mehr schicken. Aber er hat uns dich geschickt, und du hast nie Ruhe
gegeben, immerfort hast du Zwietracht gesät.
    Schon als kleines Kind
hauste das Böse in dir.
    Dann hat uns der Herr ein
weiteres Kind geschenkt, eine erneute Prüfung. Vielleicht war ich manchmal zu
streng, aber ich habe immer in bester Absicht gehandelt. Wer sein Kind liebt,
der züchtigt es, heißt es schon in der Bibel.
    Du hingegen, du falsche
Schlange, hast nicht geruht, bis du meine im Grunde herzensgute, aber schwache
Frau so gegen mich aufgestachelt hattest, dass sie mich verließ.
    Gott hat sie bestraft,
und auch du musstest für dein frevelhaftes Tun büßen.
    Aber das hast du in
deiner Verblendung nicht erkannt. Du freust dich noch heute an dem Geld, dass
dir der Tod deines Mannes eingebracht hat, statt seinen Tod als Strafe für dein
gottloses Tun zu verstehen.
    Du hast sogar die
Boshaftigkeit besessen, meine Frau mit diesem Geld für ihre Untreue zu
bezahlen. Das ist dein schlimmstes Teufelswerk gewesen. Aber am Ende wendet
sich das Böse immer gegen seine Verursacher.
    Dem Weingut geht es
schlecht, das müsstest du wissen. Du müsstest auch wissen, dass es deine
Pflicht wäre, alles zu tun, was du zu seiner Rettung beitragen kannst. Es
standen dir stets alle Türen offen, auch wenn du sie immer wieder zugeschlagen
hast. Aber dir gefällt es, einen selbstsüchtigen und zerstörerischen Weg zu
gehen und lachenden Auges zuzusehen, wie alles, was in unserer Familie einmal
wertvoll und wichtig war, zugrunde geht.
    Kehre um! Tu Buße! Tu
deine Pflicht!
    Ansonsten wird dich der
Mammon vernichten!
    G.
    »›Irre Briefe‹ ist eine ganz treffende
Bezeichnung«, sagte Winkler. »Ich schau mal, ob ich in Hollers Unterlagen einen
Hinweis finde, dass sie mal im Vincenzstift in Aulhausen gearbeitet hat.«
    »Du meinst, dieser Knuth, der mit Holler
offensichtlich noch eine Rechnung offen hatte, kannte sie von dort und hat
jetzt seine Drohungen wahr gemacht?«, fragte Burkhard. »Lassen sie die
Bekloppten dort überhaupt jemals wieder raus?«
    Auf Burkhard war irgendwie Verlass, dachte Mayfeld
grimmig, sein Denken war immer ein bisschen schlicht. »Das sind keine
Bekloppten, das sind kranke Leute, Paul. Und natürlich entlassen die immer
wieder Patienten. Früher wurde man viel schneller und leichter in so ein Heim
gesperrt, als das heute der Fall ist. Später wurden viele Bewohner wieder in
die Freiheit entlassen.«
    »Der anonyme Briefeschreiber ist offensichtlich auf
den Freund von Holler eifersüchtig«, sagte Winkler. »Wer das wohl ist?«
    »Und dieser G. scheint ebenfalls eine ordentliche
Macke zu haben«, bemerkte Burkhard. »Irgendwas mit Gott. Und er scheint Geld
von Holler gewollt zu haben. Was meint der wohl mit dieser Beschuldigung: Du
hast meine Familie kaputt gemacht?«
    Adler betrat das Büro. »Außer der leeren Schmuckschatulle
und zwei durchwühlten Kleiderschränken ist im oberen Stockwerk so weit alles
unauffällig. Wir haben keinen PC gefunden, keine
Patientenakten, kein Handy, kein Adressbuch. Bloß Kleider, Theaterkostüme und
Masken. Und die übliche Ausstattung von Frauen, Schminksachen, Kosmetik und so
weiter.«
    »Immerhin haben wir mit den zwei Briefen
Anhaltspunkte, wo wir ansetzen können«, sagte Burkhard.
    »Ich schau mich draußen vor dem Haus und im Garten
um«, sagte Adler.
    »Ich sehe mir das obere Stockwerk an und rede dann mit
der Nachbarin, die die Tote gefunden hat«, entschied Mayfeld.
    ***
    Vierundfünfzig, fünfundfünfzig, sechsundfünfzig,
siebenundfünfzig. So viele Sommersprossen! So viele Sommersprossen hatte er
noch nie bei einem Mädchen gezählt. Bei einem Mädchen mit schwarzen Haaren!
    Schwarzhaarig wie Ebenholz.
    Er hatte auch noch nie so lange Zeit zum Zählen
gehabt. Wenn man ganz nah ran ging, erkannte man auch die kleinen
Sommersprossen. Und die hinter den Ohren. Das Mädchen war ganz blass.
    Er nahm den Lippenstift, den er aus Mamas
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