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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot
Autoren: Roland Stark
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Schlafzimmer
geholt hatte. Mama brauchte den jetzt nicht. Mit dem Lippenstift malte er die
Lippen des Mädchens schön rot an.
    So weiß wie Schnee, so rot wie Blut
und so schwarzhaarig wie Ebenholz.
    Hatte Schneewittchen Sommersprossen? Davon hatte er
noch nie gehört. Er rieb fest an einer, die sich vorwitzig auf die Nase von
Schneewittchen gesetzt hatte. Nichts zu machen, die ging einfach nicht weg. Er
versuchte es noch mit ein paar anderen, dann gab er auf. Er könnte die
Theaterschminke holen, die von der Märchenaufführung übrig geblieben war. Dann
wäre es richtig. Aber dann könnte er die Sommersprossen nicht mehr zählen, und
das machte viel Spaß.
    Ob Schneewittchen nur im Gesicht Sommersprossen hatte?
Er hätte gerne nachgesehen, aber dann hätte er das Mädchen ausziehen müssen,
und dann fror es vielleicht.
    Ei du mein Gott, ei du mein Gott,
was ist das Kind so schön. Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken.
    Das Mädchen hatte Jeans an und einen schwarzen
Kapuzenpulli. Er fand Mädchen mit Röcken schöner. Aber dieses hatte nun mal
Jeans an. Da konnte man nichts machen. War vielleicht ganz gut so. Mit Rock
wäre es vielleicht noch schneller kalt geworden. Das Mädchen schlief jetzt
schon lange auf seinem Bett.
    Nun lag Sneewittchen lange lange
Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe.
    Wo sollte er bloß einen Glassarg hernehmen? Er musste
sich etwas anderes einfallen lassen. Wenn er nur wüsste, warum sie so lange
schlief.
    Sneewittchen hatte kein Arg,
stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber
die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, dass dem Sneewittchen der
Atem verging, und es für tot hinfiel.
    Dass er nicht gleich auf die Idee gekommen war! Die
Schnürriemen! Er schob den Pulli des Mädchens hoch. Darunter trug es ein grünes
T-Shirt. Das schob er auch hoch. Keine Schnürriemen da. Aber Sommersprossen.
Sommersprossen am Bauchnabel, Sommersprossen auf den Brüsten. Nicht so viele
wie im Gesicht, aber immerhin. Sollte er von Neuem anfangen zu zählen oder bei
achtundfünfzig weitermachen? Er schüttelte aufgeregt die Hände.
    Ei du mein Gott, ei du mein Gott,
was ist das Kind so schön .
    Mädchen hatten heutzutage keine Schnürriemen mehr. Sie
hatten Gürtel um ihre Jeans.
    Sie hoben es in die Höhe, und weil
sie sahen, dass es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen
entzwei.
    Er ging zu seinem Schreibtisch und kramte eine Schere
aus der Schublade. Er musste sich ganz schön anstrengen, aber nach vier
Versuchen hatte er es geschafft, der Gürtel war entzweigeschnitten.
    Da fing es an, ein wenig zu atmen,
und ward nach und nach wieder lebendig.
    Er wartete. Es kam ihm so vor, als ob es tatsächlich
anfing, ein wenig zu atmen, aber es wurde nicht wieder lebendig.
    Und fanden den giftigen Kamm, und
kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich .
    Vielleicht war das des Rätsels Lösung. So schönes Haar
hatte das Mädchen, seidig und schwarz. Er untersuchte Strähne für Strähne,
danach wuschelte er fest über den ganzen Kopf, aber er fand keinen giftigen
Kamm. Nicht einmal sonst einen. Eieieieiei.
    Und von dem Schüttern fuhr der
giftige Apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht
lange, so öffnete es die Augen.
    Wie sollte er das nun wohl anstellen? Er stand auf,
schob seinen Stuhl weg. Dann rollte er Schneewittchen vom Bett herunter, sodass
es mit einem Plumps auf den Holzboden fiel. Warum machte es jetzt die Augen
nicht auf? Er versuchte, ihm zu helfen, griff sich die Wimpern eines Auges und
zog das Lid nach oben. Aber er sah nur das Weiße des Augapfels, sonst passierte
nichts.
    Einen Versuch wollte er noch unternehmen. Er räumte
den Schreibtisch leer. Die Zeichenblöcke, die Farbstifte und das Märchenbuch
stapelte er auf dem Boden, die toten Insekten, die er noch nicht in die
Glasvitrine einsortiert hatte, steckte er in einen Schuhkarton, den er unter
dem Schreibtisch stehen hatte. Dann packte er das Mädchen und legte es auf den
Schreibtisch. Aus der Schreibtischschublade holte er die Taschenlampe, die ihm
Mama zum vorletzten Geburtstag geschenkt hatte. Eine ganz besonders helle
Taschenlampe für deine Streifzüge im Wald, hatte sie gesagt.
    Kurz überlegte er, was Mama wohl zu dem sagen würde,
was er gerade machte. Egal, Mama hatte der rote Wolf gebissen. Er schob einen
Finger zwischen die Zähne des Mädchens und presste
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