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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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hilft ungemein, um mit meinem Schicksal klarzukommen: Euphemisten nennen es kreatives Chaos, ich nenne es: vollkommen überfordert, eigene vier Wände zu haben. Obwohl, neulich habe ich gelesen, dass die Intellektuellen in San Francisco ihren Möbelstil neuerdings wild durcheinandermischen (ha, ich bin Trendsetter!). Zweite gute Nachricht: Alle Gegenstände dürfen plötzlich durcheinander sein, da das Ordnung im Kopf schafft oder so ähnlich. In dem Artikel wurde ein scheinbar wichtiger Psychologe zitiert, der diesen Zusammenhang jahrelang erforscht hat. Der muss es ja schließlich wissen. Also: Alles halb so wild.
    Trotzdem: Sollte ich jemals an der Sendung »Perfektes Dinner« teilnehmen, werde ich mir Pias Wohnung ausleihen. Ich werde dann in High Heels über ihren Marmorboden stöckeln und den Gästen, die an dem dicken Eichentisch von Habitat sitzen, zuflöten: »Nehmt euch schon mal etwas Wein. Der ist in der Karaffe, die farblich zu den Gläsern passt.« Dann werde ich in Pias Küche schweben und mit einem sauberen Schneebesen (der Schneebesen ist für mich der Inbegriff von Reinheit, das könnte sicher ein Psychologe deuten) in einer sauberen Schüssel innerhalb von Sekunden ein fantastisches Gericht »zaubern« (kochen wäre zu profan).
    Ich wollte mir Pias Wohnung auch schon mal für ein Date ausleihen, als meine Wohnung auf dem Höhepunkt ihres kreativen Chaos war, um das mal so auszudrücken. »Und wie stellst du dir das vor, wenn tatsächlich was aus euch beiden wird?«, hatte Pia damals gefragt. »Soll ich dann irgendwann meine Koffer packen und mich nachts hinausschleichen und dir meine Wohnung für immer überlassen?« Nein, natürlich nicht. Ich hätte die Notlüge selbstverständlich irgendwann aufgeklärt, mein Zukünftiger hätte Sachen wie »Ich brauche in einer Beziehung Ehrlichkeit« gesagt und nach neunzig Minuten, äh, ein paar Wochen wären wir wieder glücklich vereint gewesen. Herrlich, wie in einer Komödie mit Happy End.
    Wenn ich daran denke, grinse ich immer noch debil vor mich hin. »Und was gibt’s Neues?«, fragt Pia plötzlich. »Was machen die Broschüren fürs Altenheim? Bist du fertig geworden?«
    Ach, ich liebe sie. Sie schafft manchmal so herrliche Übergänge. Als ich ihr vor fünfzehn Jahren (bin ich wirklich schon so alt?) von meinem ersten Kuss in allen Details erzählen wollte, meinte sie nur: »Kann jetzt nicht. Ich muss kurz für meine Mutter das Altpapier rausbringen.«
    »Mein Gott, Pia, natürlich habe ich die Broschüren noch nicht fertig. Ich wollte dir aber auch was ganz anderes erzählen: Rate mal, was mir heute passiert ist?« Ich schenke uns beiden noch ein Glas Wein ein.
    »Ich bin heute mit der U-Bahn gefahren. Neben mir saß so ein kleiner, unscheinbarer Mann mit wenig Haaren, und ich habe mich noch gefragt, ob Männer unter Haarausfall genauso leiden wie Frauen, da sehe ich plötzlich, dass dieser kleine, unscheinbare Mann etwas auf einen Zettel schreibt.«
    »Und? Hat er dir etwa einen Liebesbrief geschrieben?« Pia lacht. »Oder ›Ruf mich an, dein Dieter‹?«
    »Nein. Ich habe ehrlich gesagt auch gar nicht gelesen, was er geschrieben hat. Aber, jetzt halt dich fest, er hatte genau meine Schrift. Es sah so aus, als ob da gerade ich am Schreiben war. Es war echt der Wahnsinn. Dieser Mann hatte genau meine Schrift, eins zu eins.« Man muss dazu sagen, dass ich im Gegensatz zu Pias ausdrucksstarker, geschwungener und selbstsicherer Architekten-Handschrift irgendwie anders schreibe: Krakelig trifft sicher den Kern am besten. Ich schreibe weder geschwungen noch ausdrucksstark noch einheitlich. Restaurants würden finanziell den Bach runtergehen, wenn ich die Speisekarte beschriften müsste. Und jeder Grafologe würde wahrscheinlich nur ein ratloses »Schwierig« zustande bringen, wenn er die undankbare Aufgabe hätte, meine Schrift zu analysieren. Und nun das: Ein kleiner, unscheinbarer Mann mit wenig Haaren schrieb genauso. Und fühlte wahrscheinlich genauso wie ich. Und war wahrscheinlich genauso wie ich. Und war wahrscheinlich wie für mich gemacht.
    »Also, was sagst du? Ist das ein Zeichen?« Ich sehe Pia mit großen Augen an. Jetzt hol ich mir den Segen von ganz oben ab.
    »Ganz ehrlich?«, fragt Pia.
    »Ja ja ja ja ja«, schreie ich. »Ganz, ganz, ganz ehrlich bitte.«
    Ich bin mir sicher, dass Pia jetzt einen Schlachtplan aufstellt: In welcher Linie habe ich ihn gesehen? Wie oft verkehrt diese Linie? Wo kann er ausgestiegen sein? Pia ist immer so
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