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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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den Menschen.
    Normalerweise sagt man ja, dass die Gene für die Entwicklung eines Menschen gar nicht so wichtig sind, sondern vor allem das Umfeld prägend ist. Demnach müssten Pia und ich eigentlich eineiige Zwillinge sein. Doch anscheinend sind wir der lebende Beweis, dass die gesamte Wissenschaft irrt. Während ich nach dem Studium verzweifelt Kurse mit den Namen »Diplom in der Tasche und was nun?« besuchte, hat es Pia direkt in eine Festanstellung als Architektin geschafft. Sie zog ihr Studium in der Regelstudienzeit von acht Semestern durch, verfügt inzwischen schon über zwei Bausparverträge und hat mir neulich erklärt, was vermögenswirksame Leistungen sind.
    Auch in Liebesangelegenheiten sind Pia und ich ein wenig unterschiedlich geraten. Ich glaube an die große Liebe, Pia noch nicht einmal an die kleine. Männer sind laut Pia dazu da, Frauen die Füße zu massieren (in diesem Punkt stimme ich ihr bedingungslos zu), schöne Geschenke zu kaufen, die Frauen – so platt, wie es klingt – zu befriedigen und für die Fortpflanzung zu sorgen. »Männer kommen und gehen wie der stete Wellenschlag des Meeres«, pflegt Pia in poetischen Momenten zu sagen. »Es ist also ein Naturgesetz, dass wir sie nicht brauchen.«
    Darum hat Pia auch immer »handfeste Affären«, wie sie es nennt. Ich finde ja, das ist ein Widerspruch in sich. Wie kann es handfest sein, wenn man sich nur heimlich treffen darf? Wenn man auf dem Festnetz des anderen nur mit unterdrückter Nummer anrufen kann und dann schnell wieder auflegen muss, wenn die Ehefrau rangeht? Und: Wenn man offiziell ein Single ist, obwohl man mit dem Liebsten gerade ein Wochenende in Lissabon verbracht hat? Pia findet es herrlich, die Geliebte zu sein. Keine Verpflichtungen, kein mühsamer Alltag und keine Kinder. Pia hat sich zwar bereit erklärt, die Patenschaft für das erste meiner fünf Kinder, die ich bald mit Mister Perfect haben werde, zu übernehmen. Aber eigene Kinder? Für Pia undenkbar.
    Wenn Pia von einer Affäre wieder verlassen wird, weil der Gute sich doch besinnt, zu seiner Frau, drei Kindern, zwei Kaninchen, einem Familienhund und einem Carport zurückzukehren, ist sie etwa einen Tag lang etwas niedergeschlagen. Doch dann freut sie sich auch schon auf das nächste Objekt der Begierde. Mich dagegen zieht das regelrecht runter. Ich bin sehr gut in diesem Fremdtrauern. Als Frank, Pias Langzeitaffäre während des Studiums, sie Knall auf Fall verließ, war das Semester gelaufen. Für mich selbstverständlich.
     

     
    »Du trinkst zu viel Wein.« Pia schüttelt den Kopf und sieht mich so ernst an, als wäre sie meine Betreuerin in einer Entzugsklinik.
    Es ist Sonntagabend, und nachdem wir mit Entsetzen festgestellt haben, dass heute »Polizeiruf« läuft (wir sehen nur »Tatort«!), bleibt uns nur ein Weinabend auf dem Sofa in Pias Wohnung. Halt, ich korrigiere: Uns bleibt nur ein Weinabend auf der mondänen Sitzlandschaft in Pias durchgestylter, schicker, frisch der »Schöner Wohnen«- Zeitschrift entsprungener Wohnung.
    So ist es richtig. Bei Pia ist nämlich alles immer tadellos aufgeräumt. Nichts liegt rum, weil es aber auch gar nichts gibt, was rumliegen könnte. Pia lebt den puristischen Wohngedanken. Alle Möbel sind cremeweiß, die Schränke sind offen (offen, das muss man sich mal vorstellen, man sieht alles!), und die Krönung dieser »Ich-habe-nichts-zu-verstecken-weil-alles-perfekt-ist«-Offenbarung ist ein Couchtisch mit einer gläsernen Platte, die den Blick auf die Ablage schonungslos freigibt. Hätte ich diesen Tisch, würde der Besucher einen angebissenen Schokoriegel sehen, zwei lose Aspirin-Tabletten, ein benutztes Taschentuch, drei Tampons (weiß der Himmel, wie die unter meinen Couchtisch kommen) und eine vergilbte Postkarte von Mallorca mit von Elvis angeknabberten Ecken. Bei Pia hingegen liegt auf der Ablage des Couchtisches nur eins: der neue Manufactum-Katalog, wie zufällig hingeworfen. Die Welt ist ungerecht.
    Um Pia zu ärgern, bring ich ihr manchmal kleine unnütze Figuren aus dem Überraschungsei mit oder irgendwelche Sachen zum Hinstellen. All meine Geschenke habe ich nie wieder gesehen. Das stützt meine These, dass bei Pia irgendwo ein Gleis 9 3/4 versteckt ist, genau wie bei Harry Potter. Ich bin mir sicher, dass man mit Schwung gegen eine Wand laufen muss und sich dahinter eine komplett andere Wohnung verbirgt, in der Pia ihr Messie-Dasein auslebt.
    An diese Theorie klammere ich mich nun schon seit Jahren. Das
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