Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Möglichkeit, sein Gedicht in China zu veröffentlichen, sprach Liao Yiwu den Text mit rituellen Gesängen und der heulenden Anrufung des Geistes der Toten auf Band. Die Aufnahme wurde durch Untergrundkanäle in ganz China verbreitet. In einem weiteren Gedicht aus der gleichen Zeit beschreibt er die Frustration, sich nicht wehren zu können:
    Du bist geboren mit der Seele eines Attentäters,
    Aber wenn es Zeit ist für die Tat,
    Bist du verloren, tust nichts.
    Du hast kein Schwert zu ziehen,
    Dein Körper, die Schwertscheide, ist verrostet,
    Deine Hände zittern,
    Deine Knochen faulen,
    Deine kurzsichtigen Augen taugen nicht für den Schuss.
    Das Band mit dem Gedicht »Massaker« und der Film »Requiem«, den er anschließend mit Freunden drehte, riefen die chinesische Sicherheitspolizei auf den Plan. Als er im Februar 1990 einen Zug nach Peking bestieg, fiel sie über ihn her. Sechs seiner Freunde, Dichter und Schriftsteller, und seine schwangere Frau wurden wegen ihrer Beteiligung an seinem Filmprojekt zur gleichen Zeit verhaftet, als Rädelsführer bekam Liao vier Jahre Gefängnis.
    Seither steht Liao auf der schwarzen Liste der Regierung. Die meisten seiner Werke sind in China noch immer verboten, wo er unter den wachsamen Augen des Amtes für Öffentliche Sicherheit als Straßenmusiker in einer kleinen Stadt im Südwesten der Provinz Yunnan lebt. In der Vergangenheit wurde er mehrere Male wegen »illegaler Interviews« und der Darstellung der dunklen Seiten der kommunistischen Gesellschaft in seinem dokumentarischen Buch »Interviews mit Menschen vom Bodensatz der Gesellschaft« verhaftet. Die neunundzwanzig Geschichten, die in diesem Buch erscheinen, wurden aus dieser Sammlung wie aus neueren Texten von chinesischen Webseiten außerhalb Chinas ausgewählt und übersetzt.
    Liao ist 1958 im Jahr des Hundes geboren. Es war auch das Jahr, in dem Mao Zedong den Großen Sprung nach vorn initiierte, eine Kampagne, die Chinas rückständige Agrarwirtschaft industrialisieren sollte. Die zwangsweise Kollektivierung der Landwirtschaft und die blinde Mobilisierung des Landes zur primitiven Produktion von Eisen und Stahl führte 1960 zu einer Hungersnot, die geschätzte 30  Millionen Menschen das Leben kostete.
    Während der Hungersnot litt Liao unter einem Ödem und war dem Tode nah. In ihrer Verzweiflung schaffte seine Mutter ihn aufs Land, wo ein Doktor der Naturheilkunde »mich über einen Wok hielt, in dem ein Kräutersud kochte«. Wie durch ein Wunder machte dieses Dampfbad ihn gesund.
    1966 wurde Liaos Familie tief traumatisiert, als sein Vater, ein Lehrer, während der Kulturrevolution als Konterrevolutionär gebrandmarkt wurde. Seine Eltern ließen sich scheiden, um ihre Kinder vor den Auswirkungen dieses Paria-Status des Vaters zu schützen. Das Leben ohne den Vater war hart. Unter seinen Kindheitserinnerungen ist eine, an die er sich noch heute lebhaft erinnert: »Ein Verwandter gab meiner Mutter einen offiziellen Bezugsschein für zwei Meter Stoff. Aber als meine Mutter ihn auf dem Schwarzmarkt verkaufte, um etwas für uns zu essen besorgen zu können, wurde sie von der Polizei gefasst und wurde mit anderen Kriminellen auf der Bühne des Sichuan-Opernhauses vorgeführt. Als einige meiner Mitschüler, die meine Mutter gesehen hatten, mir davon erzählten, war das für mich ein Desaster.«
    Nach der höheren Schule reiste Liao durch das Land, arbeitete erst als Koch und dann als Lkw-Fahrer auf der Strecke zwischen Sichuan und Tibet. In seiner Freizeit las er westliche Dichter, die früher verboten gewesen waren, von Keats bis Baudelaire. Außerdem fing er an, eigene Gedichte zu schreiben und in Zeitschriften zu veröffentlichen.
    In den achtziger Jahren wurde Liao zu einem der populärsten neuen Dichter Chinas mit regelmäßigen Beiträgen in einflussreichen Literaturzeitschriften und Untergrundpublikationen, in denen Gedichte im westlichen Stil erschienen, für die Regierung ein Zeichen »geistiger Verschmutzung«. Im Frühjahr 1989 nutzten zwei prominente Zeitschriften das zeitweilige politische Tauwetter und brachten Liaos Langgedichte »Die gelbe Stadt« und »Das Idol«. In diesen Gedichten kritisierte er in allegorischen Anspielungen, was er ein System nannte, das von einer kollektiven Leukämie gelähmt und aufgefressen werde. Er behauptete, das Erscheinen von Mao sei das Symptom dieser unheilbaren Krankheit gewesen. Aufgeschreckt durch diese unverhohlen antikommunistische Botschaft, veranstaltete die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher