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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Autoren: Liao Yiwu
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Trauermusiker, der Menschenhändler und der Klomann – zum ersten Mal in englischer Sprache in der ersten Nummer der Zeitschrift »The Paris Review« unter ihrem neuen Herausgeber Philip Gourevitch.
    Nach dem erfolgreichen Debüt von »The Paris Review« suchten Liao und ich siebenundzwanzig Geschichten aus, die wir für repräsentativ hielten und die unserer Ansicht nach auch für westliche Leser von Interesse sein würden.
    Mittlerweile bricht Liao trotz wiederholter Schikanen durch die Polizei weiter die Zensurgesetze der chinesischen Regierung, indem er seine Arbeiten in chinesischsprachigen Webseiten in Übersee veröffentlicht. Im Dezember 2007 ist Liao verhaftet und mehr als vier Stunden verhört worden, als er nach Peking reiste, um den Freedom-to-Write-Award des Unabhängigen Chinesischen PEN -Zentrums entgegenzunehmen. Man hat ihn nicht einschüchtern können. Mit der Hilfe eines chinesischen Anwalts verklagt er jetzt die chinesische Regierung wegen Verletzung seiner Menschenrechte: »Ich versuche, nach und nach die Furcht zu überwinden, die man mir eingepflanzt hat«, sagt er. »Indem ich das tue, versuche ich, meine Gesundheit und meine innere Freiheit zu wahren.«
     
    Wen Huang
    Januar 2008
     
    Wen Huang ist Autor und Journalist. Seine Artikel und Übersetzungen sind u.a. im »Wall Street Journal Asia«, der »Chicago Tribune« und »The Paris Review« erschienen. Wen Huang ist Übersetzer der amerikanischen Ausgabe des vorliegenden Buchs von Liao Yiwu.

Der Trauermusiker
    Am 2 . September 1994 kehrte ich mit meiner Freundin Song Yu nach Jiangyou zurück, und auf unserem Abstecher in die berühmte Landschaft der Baotuan-Berge lernte ich den etwa 70  Jahre alten Li Changgeng kennen.
    Li Changgeng stammte aus Henan, und obwohl er seine Heimat schon vor vielen Jahren verlassen hatte, hatte er sich doch noch immer den Zungenschlag der zentralchinesischen Tiefebene bewahrt. Er war von stabiler Gesundheit und einen halben Kopf größer als die Männer sonst in Sichuan, er sagte, es sei körperlich sehr anstrengend, die Suona, eine Art Schalmei, zu blasen.
    Die goldenen Zeiten seines Berufes waren längst vorbei, aber mit einer gewissen Halsstarrigkeit und einem etwas schmerzlichen Sinn für Tradition gab Li Changgeng nicht auf.
    ***
    LIAO YIWU:
    Großvater, wie lange macht Ihr das schon?
    LI CHANGGENG:
    Siebenundvierzig Jahre. Ich war schon mit achtzehn Jahren ein im weiten Umkreis bekannter Trauermusiker. Danach habe ich das die ganzen Jahre weitergemacht, ich habe bei Hochzeits- und Trauerfeiern im Dorf und von Verwandten gespielt. Nach den Reformen Anfang der achtziger Jahre wurde es auch für mich besser, aber das hielt nicht lange, heute haben die Leute nur neumodisches Zeug im Kopf, es gibt immer weniger Menschen, die einen Suona-Spieler wie mich engagieren.
    LIAO YIWU:
    Und die Feier gestern? Mit einem Beruf wie dem Euren sollte man doch eigentlich nie arbeitslos werden.
    LI CHANGGENG:
    Am Anfang habe ich das auch gedacht, aber heute ist eine andere Zeit. Wenn in der Stadt irgendein neuer Modewind aufkommt, fällt auf den Dörfern sehr schnell der entsprechende Regen, die jungen Leute sehen Videos aus Hongkong und ahmen alles nach.
    Natürlich findet man auf dem Dorf nicht die Bedingungen, um nach westlichem Vorbild zu heiraten, aber statt in eine Sänfte in ein blumengeschmücktes Auto steigen, das kann man schon. Ein Anruf in Jiangyou genügt, um die dazugehörige Equipage mit roter Schärpe zu mieten, und so ein Aufmarsch macht allemal mehr her als das traditionelle Abholen der Braut mit Trommel und Suona.
    LIAO YIWU:
    Und der zeremonielle Kotau bei der Hochzeit? Dabei braucht man doch die Suona!
    LI CHANGGENG:
    Andere Zeiten, andere Sitten. Vielerorts gibt es den Kotau gar nicht mehr. Und bei Hochzeitsbanketten wird einfach beliebig jemand vorgeschlagen, der das Programm macht, es wird gelacht, herumspektakelt, Eltern, Verwandte, Freunde, jeder kann auf die Bühne und sich produzieren.
    LIAO YIWU:
    Aber das wird doch nicht überall so sein, es gibt doch bestimmt noch Familien, die Musiker für die Hochzeit engagieren, es ist wahrscheinlich nur nicht mehr so ganz in Mode. Und wie ist es mit den Trauerfeiern? Beim Abschiednehmen der Verwandten in der Aussegnungshalle, beim Vorausschreiten der Söhne und beim Zurückrufen der Seele des Verstorbenen um Mitternacht kann man doch die Suona nicht weglassen! Sie ist doch noch viel mehr ein Instrument der Trauer als der Freude. Ich bin auf dem Land
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