Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Polizei bei Liao eine Hausdurchsuchung und unterzog ihn mehreren gründlichen Untersuchungen, Befragungen und kurzzeitigen Inhaftierungen. Auch die Herausgeber der Zeitschriften wurden gemaßregelt; eine Zeitschrift wurde per Anordnung geschlossen.
    Liaos Inhaftierung 1990 für seine Verurteilung der Niederschlagung der Demokratiebewegung durch die Regierung im Jahr zuvor war ein Schlüsselerlebnis in seinem Leben. Geächtet und deprimiert, rebellierte er während der vier Jahre seiner Einkerkerung gegen die Gefängnisregeln, was ihm nichts einbrachte als unverhältnismäßige Bestrafungen: mit Elektroknüppeln geschlagen, gefesselt und gezwungen, stundenlang in der heißen Sommersonne zu stehen. Einmal wurden ihm in Einzelhaft die Hände für dreiundzwanzig Tage hinter den Rücken gebunden, bis Abszesse seine Achselhöhlen bedeckten. Er erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche und versuchte zwei Mal, sich das Leben zu nehmen. Unter den anderen Insassen war er bekannt als der »große Mondsüchtige«.
    1994 wurde Liao auf internationalen Druck 50 Tage vor Ablauf seiner Strafe freigelassen (die chinesische Regierung behauptete, er sei für seine gute Führung belohnt worden). Er kehrte nach Hause zurück, wo er feststellte, dass seine Frau ihn verlassen und ihr gemeinsames Kind mitgenommen hatte. Seine städtische Wohnerlaubnis wurde aufgehoben, wodurch er keine Arbeit mehr bekam und aufs Land vertrieben wurde. Seine früheren literarischen Freunde mieden ihn – aus Angst. Das Einzige, was er besaß, war eine Flöte, die er im Gefängnis zu spielen gelernt hatte. Liao ging durch die lärmenden Straßen Chengdus, seiner Geburtsstadt, und begann von vorne, als Straßenmusiker.
    Aber er gab seine literarische Arbeit nicht auf. 1998 stellte er einen Band mit dem Titel »Der Fall des heiligen Tempels« zusammen, eine Anthologie von Untergrundgedichten aus den siebziger Jahren, in der Texte von zahlreichen chinesischen Dissidenten enthalten waren oder erwähnt wurden. Einer der Vizepräsidenten Chinas ordnete persönlich eine Untersuchung des Buches an und bezeichnete es als einen »vorsätzlichen und von mächtigen antichinesischen Gruppierungen unterstützten Versuch, die Regierung zu stürzen«. Er wurde erneut verhaftet und dem Herausgeber ein einjähriges Publikationsverbot erteilt.
    Als die chinesische Regierung ihre Nase immer tiefer in seine literarische Karriere steckte, ging es mit Liao weiter bergab, und er nahm Gelegenheitsjobs in Restaurants, Nachtclubs, Teehäusern und Buchhandlungen an. Aber sein Leben in diesen Kreisen erweiterte den Fokus seines Buchprojektes über sozial ausgegrenzte Menschen, mit denen er mittlerweile Freundschaft geschlossen hatte. Die Gespräche mit Mitinsassen im Gefängnis und mit den Menschen von der Straße ließen sein Buch »Gespräche mit Menschen vom Bodensatz der Gesellschaft« entstehen. Unter den sechzig Interviews, die er für sein Buch zusammenstellte, sind Gespräche mit einem professionellen Trauermusiker, einem Menschenhändler, einem Mörder, einem Bettler, einem Wahrsager, einem Einbrecher, einem Dissidenten, einem Homosexuellen, einem Zuhälter, einem ehemaligen Grundbesitzer, einem Lehrer und einer Falun-Gong-Anhängerin. Wie der Autor selbst, wurden seine Protagonisten entweder während der verschiedenen politischen Säuberungen in der Mao-Zeit auf die unterste Stufe der Gesellschaft hinabgeschleudert, oder sie landeten dort als Resultat der tumultartigen Prozesse, in denen sich die chinesische Gesellschaft heute entwickelt.
    Die Interviews sind literarisch und journalistisch zugleich – eher Rekonstruktionen der Treffen mit seinen Gesprächspartnern als reine Wiedergaben. Da die Gespräche eine spezielle Sensitivität und Geduld erforderten, verzichtete er manchmal auf gewöhnliche Hilfsmittel wie Kassettenrekoder oder Notizbuch. Ob im Gefängnis oder auf der Straße, Liao verbringt immer eine beträchtliche Zeit mit seinen Partnern und versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen, bevor er mit einem Interview beginnt. Für ein Gespräch mochten drei, vier Treffen zu verschiedenen Gelegenheiten notwendig sein. Zum Beispiel interviewte er einen Bestattungsunternehmer sieben Mal und baute diese Gespräche zu einem einzigen zusammen.
    2001 brachte der Yangzi-Verlag eine gereinigte und gekürzte Fassung seines Buches heraus, die sofort ein Bestseller wurde. Yu Jie, ein bekannter unabhängiger Literaturkritiker in Peking, bezeichnete das Buch als den »investigativen Bericht eines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher