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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Autoren: Liao Yiwu
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Jahren war es in Mode, die ganze Nacht hindurch zu trommeln und Arien aus Gespensteropern zu singen.
    LIAO YIWU:
    Stimmt schon, und es gab reichlich Zuschauer. Damals war eine Trauerfeier ein gesellschaftliches Ereignis.
    LI CHANGGENG:
    Unsere Truppe musste auch Sichuan-Opern einstudieren, kurz, nur wer eine Trauerfeier von Anfang bis Ende auch gestalten konnte, war konkurrenzfähig.
    Und wo wir gerade von der Klage sprechen … warum komme ich immer wieder auf dieses Thema zurück?
    Zum einen, weil es sehr viel schwieriger ist als das Spiel auf der Suona oder das Singen von Arien: Man muss schauspielern, ohne eine Spur von Schauspielerei sichtbar werden zu lassen. Zum zweiten entscheidet sich an diesem Punkt, ob eine Truppe wie die unsere überleben kann, und wie viel Geld sie verdient, hängt auch davon ab.
    Von der Aufbahrung über das Schließen des Sarges bis zur Grablegung ist es immer ein Höhepunkt, wenn die Angehörigen und der Verstorbene sich sozusagen von Angesicht zu Angesicht begegnen. Ich bin dann, obwohl ein Außenstehender, mitten im Geschehen, ich sehe sofort, wer sich am liebsten in den Sarg stürzen würde, um den Verstorbenen zu umarmen, und wer nur so tut.
    Dann ist es nicht an mir, laut zu weinen und zu klagen, ich muss eher als Leibwächter herhalten und immer wieder jemanden vom Sarg fernhalten. Bis jeder Abschied genommen hat, stehen wir im Vordergrund und verlängern die Atmosphäre der Trauer. Bevor der Sarg geschlossen wird, so verlangt es der Ablauf, müssen wenigstens fünf oder sechs von uns drei Mal in Richtung Sarg stürzen, wovor uns andere mit Gewalt zurückhalten. Erst wenn der Deckel auf dem Sarg ist und die langen Eisennägel eingeschlagen sind, können wir insgeheim aufatmen.
    LIAO YIWU:
    Gibt es bei Eurem Gesang so etwas wie Haupt- und Nebenstimmen?
    LI CHANGGENG:
    Es gibt eine Hauptklage und ein begleitendes Klagen, ja, das ist ein regelrechter Wettkampf, jede Trauerfeier ist ein Wettkampf. Danach kommen alle Mitglieder der Truppe zusammen, und es wird eine eingehende Manöverkritik abgehalten. Es reicht nicht, eine laute Stimme zu haben, man muss auch damit umgehen können. Beim Rezitieren von Versen kommt es auf jede Kleinigkeit an, auf Einleitung, Exposition, Wendung und Schluss. Man muss sich zurücknehmen und aus sich herausgehen können, Gesicht, Hände, Schultern, der ganze Körper spielt eine wichtige Rolle, und der richtige Dreh und die richtigen Übergänge sind noch wichtiger. Von »Ach, so viel Arbeit, so viel Plage« bis »Jetzt, wo es schön wird, musst du gehn« analysieren wir jede Zeile unseres Vortrags, schließlich wollen wir besser werden.
    LIAO YIWU:
    Ihr habt erzählt, dass Eure Truppe vor der Befreiung 1949 nach Sichuan gekommen ist, wie habt Ihr denn da einen Fuß auf die Erde bekommen? Eigentlich treiben die Menschen in Sichuan bei ihren Festen und Trauerfeierlichkeiten einen ziemlichen Aufwand, es gibt auch eine ganze Reihe von traditionellen Bräuchen, das ist doch für eine Truppe von außerhalb wie die Eure …
    LI CHANGGENG:
    Ich weiß, was Sie sagen wollen, am Anfang war das auch so, die Menschen waren gewohnt, einheimische Trauermusiker zu engagieren. Große Haushalte engagierten jemanden für das Trommeln in Art der Sichuan-Oper, und Mönche wurden eingeladen, um die Sutren zu verlesen und für die Seelen der Verstorbenen zu beten.
    In Chengdu konnten wir nicht bleiben, wir sind dann den ganzen Weg hinauf bis in den Norden, bis nach Mianyang, aber dort lief es auch nicht, nicht einmal in der Nähe von Mianyang, in Jiangyou, konnten wir bleiben. Also verließen wir die Stadt und schlugen unsere Zelte etwa zehn Kilometer außerhalb in irgendeinem heruntergekommenen Nest auf. Um zu überleben, suchte zunächst jeder für sich nach Arbeit, an Geldverdienen war nicht zu denken, wir versuchten gerade einmal, auf drei Mahlzeiten am Tag zu kommen.
    1948 brach in dieser Gegend eine Seuche aus, überall am Straßenrand lagen die Toten, aber für uns war das die Rettung! Eine Krankheit fragt nicht nach arm oder reich, außerdem waren die hiesigen Ensembles alles kleine Familienbetriebe, die vom Vater auf den Sohn übergingen. Wenn die jemand engagierte, dann klemmten sie die Suona unter den Arm und fertig, die konnten sich schwer mit einer Truppe messen, die so groß war wie unsere.
    Außerdem kamen wir aus dem Norden, wir waren einen Kopf größer als die Einheimischen, wir waren stark und bliesen die Suona viel energischer als diese schwindsüchtigen
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