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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Autoren: Liao Yiwu
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Gespenster hier. Mit der Zeit machten wir fast sämtliche Festivitäten und Trauerfeierlichkeiten im Umkreis von Jiangyou.
    LIAO YIWU:
    Wenn Ihr so einen Erfolg hattet, warum habt Ihr dann die Fahne nicht wieder aufgenommen und seid zurück in die Stadt?
    LI CHANGGENG:
    In diesem Gebiet herrschte der Paoge-Bund, eine Geheimgesellschaft, wenn man denen in die Quere kam, hatte man schnell drei Messer und sechs Löcher im Bauch! Niemand wagte, sich in deren Geschäfte zu drängen. Vor allem nicht, wenn man nicht einmal das Schutzgeld aufbringen konnte.
    LIAO YIWU:
    Und auf dem Land gab es den Bund nicht?
    LI CHANGGENG:
    Natürlich waren die da auch. Nachdem wir ihnen die Reisschale geraubt hatten, haben sich die hiesigen Musiker zusammengetan und sind zu einem von den Paoge-Brüdern hin, es war der Rot-Flaggen-Laowu, der hatte ein Teehaus in einem Städtchen namens Qinglian. Rot-Flaggen-Laowu ließ uns von einem seiner Leute mitteilen, entweder wir verziehen uns aus dem Gebiet von Jiangyou oder er lässt uns die Beine brechen und hinauswerfen.
    Glücklicherweise hatten wir uns in diesem Landstrich bereits einen Namen gemacht, und es gab einen Grundbesitzer, einen gläubigen Buddhisten mit dem Spitznamen Zhang der Vermittler, der für uns eintrat und außerdem zwanzig Silberdollar auslegte. Daraufhin verkündete Rot-Flaggen-Laowu, der Drachenkopf des Bundes, beide Seiten sollten sich in einem gerechten Zweikampf messen.
    Mein Vater sagte: »Wie sollen wir uns messen, wenn da kein Toter ist?«
    Der Drachenkopf antwortete: »Nichts leichter als das!«
    Am nächsten Morgen lag die Leiche eines Bettlers quer vor unserer Haustür. Also taten wir wohl oder übel so, als sei der Bettler ein wichtiger Mann gewesen und bahrten ihn nach allen Regeln der Kunst auf. Leichengewand und Sarg wurden hergerichtet und das Ganze auf den Marktplatz getragen, wo beide Seiten, wie abgesprochen, ihre Bühnen errichteten.
    Die professionellen Trauermusiker und Klagesänger aus der Gegend gingen aufs Ganze, sie kratzten ihr sauer verdientes Geld zusammen und engagierten von außerhalb einen großen Könner, eine richtige Berühmtheit. Sie waren auf einen Kampf auf Leben und Tod gefasst.
    Nach nicht einmal einem halben Tag waren alle Vorbereitungen getroffen, zwei Bühnen ragten in die Höhe, und der offene Sarg stand zwischen ihnen. Diese Schlachtordnung störte die Leute im Umkreis von fünfzig Kilometern auf; seit König Pangu Himmel und Erde getrennt und die Welt geschaffen hatte, war es in dieser Gegend das erste Mal, dass es zu einem Krieg der Musiker kam. Zunächst maßen sich die Suonas. Es wurde die gleiche Melodie gespielt, die »Große Trauer«. Auf der Zuschauertribüne saßen die großen und kleinen Vertreter des Paogu-Bundes, die Bürgermeister, die lokale Polizei, der hiesige Geldadel und andere Prominenz.
    Ich war jung und wollte meine Überlegenheit demonstrieren, also stürzte ich als Erster in Richtung Bühne. Zu meiner Überraschung wurde ich von meinem Lehrer zurückgehalten. Er war damals schon über fünfzig, aber ein Mann wie ein Bär, er trug tiefschwarze Trauerkleidung und ein in der Sonne stechendweißes Stirnband. Er kaute das Mundstück der Suona zurecht, stieß ein paar Schreie aus und bestieg die Leiter. Als er oben war, betrat sein Gegenspieler die andere Bühne. Auf der Zuschauertribüne wurde als Startzeichen eine weiße Fahne geschwenkt, und als die beiden Suonas loslegten, fuhr ihr durchdringender Ton den Leuten wie ein Messer ins Gehirn. Beide waren Meister ihres Fachs, und beide hatten schon viele Schlachten geschlagen, nach einer halben Stunde war noch kein Sieger auszumachen. Wenn man scharfe Augen hatte, konnte man sehen, dass an den hitzigeren Stellen aus den Trichtern der Suonas Speichel und Blutfäden spritzten.
    Aber mein Vater blieb gelassen, er wusste, dass mein Lehrer nicht nur genug Kraft in der Lunge hatte, sondern auch ein sturer Hund war. Als Kind nannten ihn seine Eltern »Sturesel«, eine Niederlage kam für ihn überhaupt nicht in Frage.
    Nach einer Stunde schnappte sein Gegenspieler nur noch nach Luft, der Sieg war zum Greifen nah – als die Suona meines Lehrers aus heiterem Himmel mit einem Quietschen auseinanderbrach. Die weiße Fahne wurde geschwenkt, die Runde war zu Ende. Der Mund meines Lehrers war voller Blut, jemand hatte ihn mit einer Schleuder getroffen.
    Ich junger Kerl reagierte auf der Stelle und kletterte, ohne viel nachzudenken, auf die Bühne; auch mein Vater stieg hinauf,
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