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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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ausgeliefert, der ihn bis auf die Knochen durchdrang und Wolken von Sand und Unrat aufwirbelte. Er verirrte sich mehrmals in gewundenen Straßen, ging zurück und ging abermals zurück, um wieder dort zu landen, wo er angefangen hatte. Er stieg von endlosen Treppen geplagte Gassen hinauf, die von absurden, im Nirgendwo hängenden Häusern gesäumt waren, und war diskret bemüht, nicht durch die Fenster in fremde Häuslichkeiten zu spähen. Er stieß auf romantische, europäisch anmutende, von Laubengängen umgebene Plätze, wo Militärkapellen Musik für müßige Milchmädchen und ähnliche Verliebte spielten, und lief durch bescheidene, von Eseln niedergetrampelte Grünanlagen. Am Rande der Hauptstraßen wuchsen prächtige Bäume, genährt von den übelriechenden Wässern, die offen von den Hügeln herunterrannen. Im Geschäftsviertel war die Gegenwart der Briten so augenscheinlich, daß man meinte, die Luft anderer Breiten zu atmen.
    Die Aufschriften an verschiedenen Läden waren englisch, und die vorübergehenden britischen Landsleute waren gekleidet wie in London und trugen sogar die gleichen Leichenbestatterschirme. Kaum entfernte er sich aber von den Straßen des Zentrums, als die Armut mit der Wucht eines Faustschlages auf ihn eindrang; die Menschen wirkten matt und unterernährt, er sah Soldaten in fadenscheinigen Uniformen und Bettler an den Kirchentüren. Um zwölf Uhr mittags fingen auf allen Kirchtürmen die Glocken gleichzeitig zu läuten an, und augenblicklich verstummte der Lärm, die Leute blieben stehen, die Männer nahmen den Hut ab, die wenigen Frauen knieten nieder, und alle bekreuzigten sich. Das Bild stand zwölf Glockenschläge lang still, dann belebte sich die Straße wieder wie zuvor.

Die Engländer
    Die Kutsche der Sommers fuhr mit einer halben Stunde Verspätung beim Hotel vor. Der Kutscher hatte reichlich Alkohol geladen, aber Jacob Todd konnte nicht wählerisch sein. Sie fuhren in Richtung Süden. Es hatte ein paar Stunden geregnet, und die Straßen waren an einigen Stellen fast unpassierbar geworden, wo sich unter Pfützen und Schlamm verhängnisvolle Löcher verbargen, groß genug, ein unachtsames Pferd zu schlucken. Am Rand der Straße warteten Kinder mit Ochsengespannen, bereit, im Morast steckengebliebene Kutschen für eine Kupfermünze herauszuziehen, aber trotz seiner Säuferkurzsichtigkeit schaffte es der Kutscher, alle Fallen zu vermeiden, und schließlich fuhren sie eine Anhöhe hinauf. Als sie auf dem Cerro Alegre ankamen, wo die meisten Angehörigen der Ausländerkolonie wohnten, änderte sich das Aussehen der Stadt schlagartig, und die ärmlichen Hütten und elenden Mietshäuser blieben unten zurück. Der Kutscher hielt vor einem Landhaus von beträchtlichen Ausmaßen, aber peinlich häßlichem Aussehen, eine Mißgeburt voller prätentiöser Türmchen und nutzloser Treppen, in das unebene Gelände gepflanzt und von so vielen Fackeln beleuchtet, daß die Nacht zurückgewichen war.
    Ein Indiodiener in einer Livree, die ihm zu groß war, öffnete Jacob Todd die Tür, nahm seinen Mantel und Hut entgegen und führte ihn in einen weiträumigen Saal, der mit edlen Möbeln und ein wenig theatralischen Vorhängen aus grünem Samt ausgestattet und mit allem möglichen Zierat überladen war, ohne einen Zentimeter Weiß, an dem sich das Auge hätte erholen können. Er nahm an, daß in Chile wie in Europa eine nackte Wand als Zeichen der Armut angesehen wurde, und erkannte seinen Irrtum erst sehr viel später, als er die nüchternen Häuser der Chilenen besuchte. Die Gemälde hingen leicht nach vorn geneigt, damit man sie von unten besser würdigen konnte, und der Blick verlor sich im Halbdunkel der hohen Decke. Der große Kamin mit seinen dicken Holzscheiten und mehrere Kohlebecken verbreiteten eine ungleichmäßige Hitze, in der die Füße kalt blieben und der Kopf fiebrig heiß wurde. Es gab ein gutes Dutzend nach europäischer Mode gekleidete Personen in dem Raum und mehrere Mädchen in Dienstbotenkleidung, die mit Tabletts herumgingen. Jeremy und John kamen heran, um ihn zu begrüßen.
    »Ich möchte Sie meiner Schwester Rose vorstellen«, sagte Jeremy und führte ihn zum hinteren Teil des Saales.
    Und da sah Jacob Todd neben dem Kamin die Frau sitzen, die den Frieden seiner Seele zunichte machen sollte.
    Rose Sommers bezauberte ihn augenblicklich, nicht so sehr, weil sie schön, sondern weil sie selbstsicher und fröhlich war. Sie hatte nichts von der etwas grob geratenen
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