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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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auf dem Kopf. Das warst du. Mach dir nichts vor, du bist nicht als Prinzessin geboren, und wenn du damals schon so schwarzes Haar gehabt hättest wie jetzt, hätte die Herrschaft dich mitsamt dem Karton in den Müll geschmissen«, beharrte Mama Fresia.
    Wenigstens stimmten alle darin überein, daß das Kind am 15. März 1832 in ihr Leben eingezogen war, eineinhalb Jahre nach der Ankunft der Sommers in Chile, und deshalb ernannten sie dieses Datum zu Elizas Geburtstag. Das übrige war ein Haufen Widersprüche, und Eliza kam endlich zu dem Schluß, es lohne nicht, darin herumzustochern, denn was auch immer die Wahrheit sein mochte, zu ändern war jetzt doch nichts mehr.
    Wichtig ist, was einer tut in dieser Welt, nicht, wie er darauf gekommen ist, sagte sie oft zu Tao Chi’en, aber dem konnte er nicht zustimmen, ihm war es unmöglich, sich sein eigenes Leben getrennt von der langen Reihe seiner Vorfahren vorzustellen, die nicht nur zu seinen körperlichen und geistigen Eigenschaften beigetragen, sondern ihm auch das Karma vererbt hatten. Sein Schicksal, glaubte er, war bestimmt durch die Handlungen der Anverwandten, die vor ihm gelebt hatten, deshalb mußte man sie mit täglichen Gebeten ehren und sie fürchten, wenn sie einem in gespenstischer Gewandung erschienen, um ihre Rechte einzufordern. Tao Chi’en konnte die Namen all seiner Ahnen hersagen bis zu den fernsten und verehrungswürdigsten Ururgroßvätern, die schon weit mehr als ein Jahrhundert tot waren. Seine größte Sorge in der Zeit des Goldfiebers war es, zum Sterben in sein Dorf in China zurückzukehren, um neben den Seinen bestattet zu werden; andernfalls würde seine Seele ewig ziellos auf fremder Erde umherirren.
    Eliza liebäugelte natürlich mit der Geschichte des reizenden Körbchens - kein Mensch mit gesundem Verstand möchte gern in einem gewöhnlichen Seifenkarton auftauchen -, aber der Wahrheit zu Ehren konnte sie sie nicht anerkennen. Ihre feine Hühnerhundnase erinnerte sich sehr gut an den ersten Geruch in ihrem Leben - es war nicht der von sauberer Batistbettwäsche, sondern von Wolle, Männerschweiß und Tabak. Der zweite war deftiger Ziegengestank.
    Eliza konnte vom Balkon ihrer Adoptiveltern auf den Pazifischen Ozean sehen. Das Haus, auf dem Hang eines Hügels hoch über dem Hafen von Valparaíso erbaut, wollte ursprünglich den damals in London bevorzugten Georgian Style nachahmen, aber das schwierige Gelände, das Klima und das Leben in Chile überhaupt zwangen die Sommers, wesentliche Veränderungen vorzunehmen, und das Ergebnis war eine Monstrosität. Im Patio wuchsen wie Geschwülste mehrere fensterlose Schuppen mit Stahltüren, wo Jeremy Sommers die wertvollere Fracht seiner Gesellschaft lagerte, Dinge, die in den Läden am Hafen zu verschwinden pflegten.
    »Dies ist ein Land der Diebe, nirgendwo auf der Welt muß die Firma so viel Geld verschleudern, um die Ware zu versichern, wie hier. Alles stehlen sie, und was man vor diesen Gaunern rettet, das wird im Winter überschwemmt oder verbrennt im Sommer, oder ein Erdbeben quetscht es platt«, wiederholte er jedesmal, wenn die Maultiergespanne neue Bündel herankarrten, damit sie im Patio seines Hauses abgeladen wurden.
    Weil Eliza so oft am Fenster saß, um aufs Meer hinauszusehen und die Schiffe und die Wale am Horizont zu zählen, redete sie sich schließlich ein, sie sei die Tochter eines Schiffbrüchigen und nicht das Kind einer unnatürlichen Mutter, die fähig gewesen war, ihr nacktes Neugeborenes in der Ungewißheit eines Märztages zu verlassen. Sie schrieb in ihr Tagebuch, ein Fischer habe sie am Strand zwischen den Wrackresten eines gescheiterten Schiffes gefunden, habe sie in seine Weste gewickelt und vor dem größten Haus des englischen Viertels niedergelegt. Mit den Jahren kam sie zu dem Schluß, diese Geschichte sei ganz und gar nicht übel: immer hängt dem, was das Meer wiedergibt, etwas Poetisches und Geheimnisvolles an. Wenn der Ozean sich zurückzöge, würde der preisgegebene sandige Grund eine weite, nasse Wüste sein, übersät mit Sirenen und sterbenden Fischen, sagte John Sommers, der Bruder von Jeremy und Rose, der alle Meere dieser Erde befahren hatte und sehr lebendig beschrieb, wie das Wasser in einer tiefen, friedhöflichen Stille zurücktrat, um sich dann in eine einzige riesige Woge zu verwandeln, die alles auf ihrem Wege mitriß. Entsetzlich, erklärte er, aber wenigstens habe man Zeit, sich auf die Anhöhen zu flüchten, bei Erdbeben dagegen
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