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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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Miss Rose einen Brief schreiben, Tao«, verkündete sie.
    »Wozu?«
    »Sie ist mir wie eine Mutter. Wenn ich sie so sehr liebe, liebt sie mich sicherlich genauso. Vier Jahre hat sie nichts von mir gehört, sie muß glauben, ich bin tot.«
    »Würdest du sie gern Wiedersehen?«
    »Natürlich, aber das ist unmöglich. Ich werde ihr nur schreiben, um sie zu beruhigen, aber es wäre schön, wenn sie mir antworten könnte, macht es dir etwas aus, wenn ich ihr diese Adresse angebe?«
    »Du willst, daß deine Familie dich findet…«, sagte er, und ihm brach die Stimme.
    Sie stand da und sah ihn an und wußte, daß sie niemandem auf dieser Welt je so nah gewesen war wie in diesem Augenblick Tao Chi’en. Sie spürte diesen Mann in ihrem Blut, mit so uralter und gewaltiger Gewißheit, daß sie sich darüber wunderte, wie sie soviel Zeit an seiner Seite verbracht haben konnte, ohne es zu merken. Sie sehnte sich nach ihm, obwohl sie ihn jeden Tag sah. Sie trauerte den sorglosen Zeiten nach, in denen sie gute Freunde gewesen waren, damals war alles so einfach, aber dennoch wünschte sie sie nicht zurück. Jetzt schwebte etwas zwischen ihnen, etwas viel Umfassenderes und Bezaubernderes als die alte Freundschaft.
    Ihre Kleider und Unterröcke waren von der Wäscherei zurückgekommen und lagen in Papier eingeschlagen auf dem Bett. Sie öffnete den Koffer und nahm ihre weißen Strümpfe und die Halbstiefel heraus, aber das Korsett ließ sie drin. Sie lächelte bei dem Gedanken, daß sie sich nie ohne Hilfe als Señorita angezogen hatte, dann streifte sie die Unterröcke über und probierte die Kleider eins nach dem anderen an, um das für die Gelegenheit passendste auszusuchen. Sie fühlte sich fremd in diesen Sachen, verhedderte sich mit den Gürteln, den Spitzen und Knöpfen, brauchte mehrere Minuten, um die Stiefelchen zuzuschnüren und dabei unter den vielen Unterröcken nicht das Gleichgewicht zu verlieren, aber mit jedem Stück, das sie anlegte, wurden ihre Zweifel leiser und wurde ihr Wunsch stärker, wieder eine Frau zu sein.
    Mama Fresia hatte sie vor dem Wagnis des Frauseins gewarnt, »dein Körper wird sich verändern, deine Gedanken werden sich vernebeln, und jeder Mann wird mit dir machen können, wozu er Lust hat«, hatte sie gesagt, aber diese Gedanken schreckten sie nicht mehr.
    Tao Chi’en hatte den letzten Patienten des Tages entlassen. Er war in Hemdsärmeln, hatte Jackett und Krawatte abgelegt, die er immer aus Achtung vor den Patienten trug, wie es ihm sein Akupunkturmeister geraten hatte.
    Er schwitzte, denn noch war die Sonne nicht unterge– gangen, und dies war einer der wenigen heißen Julitage.
    Er würde sich nie an die Launen des Klimas von San Francisco gewöhnen, dachte er, wo der Sommer aussah wie Winter. Morgens ging strahlend die Sonne auf, und nach ein paar Stunden schob sich eine dichte Nebelwand durch das Golden Gate, oder der Wind vom Meer stürmte herein. Er war gerade dabei, die Nadeln in Alkohol zu legen und seine Medizinfläschchen zu ordnen, als Eliza eintrat. Der Gehilfe war schon gegangen, und dieser Tage hatten sie kein Sing Song Girl zu betreuten, sie waren allein im Haus.
    »Ich hab was für dich, Tao«, sagte Eliza.
    Da hob er den Kopf, und vor Überraschung ließ er das Fläschchen fallen, das er in der Hand hatte. Eliza trug ein elegantes dunkles Kleid mit einem weißen Spitzenkragen. Er hatte sie nur zweimal in weiblicher Kleidung gesehen, als er sie in Valparaíso kennengelernt hatte, aber er hatte den Anblick nicht vergessen.
    »Gefällt es dir?«
    »Du gefällst mir immer«, sagte er lächelnd und nahm die Brille ab, um sie von weitem zu bewundern.
    »Das ist mein Sonntagskleid. Ich habe es angezogen, weil ich gerne ein Bild von mir machen lassen will. Hier nimm, das ist für dich«, damit reichte sie ihm einen Geldbeutel.
    »Was ist das?«
    »Das sind meine Ersparnisse, damit du wieder ein Mädchen kaufen kannst, Tao. Ich wollte eigentlich in diesem Sommer Joaquín suchen gehen, aber ich werde es nicht tun. Ich weiß, daß ich ihn niemals finden werde.«
    »Wie es scheint, sind wir beide gekommen, um etwas zu suchen, und haben etwas anderes gefunden.«
    »Was hast du gesucht?«
    »Wissen, Weisheit, ich erinnere mich schon nicht mehr. Dagegen habe ich die Sing Song Girls gefunden, und nun schau dir das Schlamassel an, in dem ich stecke.«
    »Himmel, wie unromantisch du bist, Mensch! Aus purer Galanterie solltest du sagen, daß du auch mich gefunden hast!«
    »Dich hätte ich
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