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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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einer von ihnen könnte Murieta sein. Niemand hatte ihn je persönlich gesehen, und die Beschreibungen widersprachen einander, aber Freemonts Artikel hatten ein romantisches Bild des Banditen geschaffen, das die Mehrheit der Leser als wahr hinnahm. In Jackson bildete sich die erste Gruppe Freiwilliger, die Jagd auf die Bande machen wollten, und bald gab es in jedem Dorf Rächertrupps, und eine Men– schenjagd ohnegleichen setzte ein, in wenigen Wochen gab es mehr Lynchmorde als in den vier Jahren davor.
    Wer Spanisch sprach, war von vornherein verdächtig und wurde ganz schnell zum öffentlichen Feind erklärt und dem Grimm der Sheriffs und Hilfssheriffs ausgelie– fert. Der Gipfel an traurigem Hohn war erreicht, als Murietas Bande auf der Flucht vor amerikanischen Soldaten, die ihnen dicht auf den Fersen waren, kurz anhielt, um ein Chinesenlager zu überfallen. Die Soldaten kamen Minuten später und fanden mehrere Tote und Sterbende. Es hieß, Joaquín Murieta lasse seine Wut so häufig an den Asiaten aus, weil sie sich selten verteidigten, obwohl sie bewaffnet waren; die »Gelben« fürchteten ihn so sehr, daß allein sein Name panisches Entsetzen bei ihnen auslöste. Das beharrlichste Gerücht jedoch wollte wissen, daß der Bandit damit befaßt sei, eine bewaffnete Armee aufzustellen, und im Einverständnis mit reichen mexikanischen Ranchern der Region plane, einen Aufstand zu entfesseln, die spanische Bevölkerung aufzu– wiegeln, die Amerikaner zu massakrieren und Kalifornien an Mexiko zurückzugeben oder eine unabhängige Republik zu gründen.
    Der lautstarken öffentlichen Erregung nachgebend, unterzeichnete der Gouverneur einen Erlaß, der Captain Harry Love und eine Gruppe von zwanzig Freiwilligen ermächtigte, innerhalb einer Frist von drei Monaten die Verfolgung Joaquín Murietas zu betreiben. Jedem Mann wurde ein Sold von einhundertfünfzig Dollar pro Monat zugewiesen, was nicht gerade viel war, wenn man bedachte, daß er seine Pferde, Waffen und Vorräte selbst bezahlen mußte; dessen ungeachtet war der Trupp bereit, sich in weniger als einer Woche auf den Weg zu machen. Eine Belohnung von tausend Dollar auf den Kopf Joaquín Murietas wurde ausgesetzt. Jacob Freemont wies in der Zeitung darauf hin, daß man hier einen Mann zum Tode verurteilte, ohne seine Identität zu kennen, ohne die Verbrechen, die ihm vorgeworfen wurden, zu prüfen, ohne Gericht, das heißt, die Mission Captain Loves komme einem Lynchurteil gleich. Eliza fühlte eine Mischung aus Entsetzen und Erleichterung, die sie sich nicht erklären konnte. Sie wünschte nicht, daß diese Männer Joaquín töteten, aber vielleicht waren sie die einzigen, die ihn finden konnten; sie wollte nur aus der Ungewißheit heraus, sie war es so müde, nach Schatten zu greifen. Ohnedies war es wenig wahrscheinlich, daß Captain Love dort Erfolg hatte, wo so viele andere gescheitert waren, Joaquín Murieta schien unbesiegbar zu sein. Es hieß, nur eine silberne Kugel könne ihn töten, zwei Pistolen seien aus nächster Nähe auf seine Brust leergeschossen worden und er reite noch immer durch Calaveras.
    »Wenn diese Bestie dein Liebster ist, dann ist es besser, wenn du ihn nie findest«, sagte Tao Chi’en, als sie ihm die Zeitungsausschnitte zeigte, die sie seit über einem Jahr gesammelt hatte.
    »Ich glaube nicht, daß er es ist…«
    »Wie willst du das wissen?«
    In ihren Träumen sah sie ihren ehemaligen Geliebten in demselben abgetragenen Anzug und den fadenscheinigen Hemden, aber alles sauber und gut gebügelt, aus der Zeit, in der sie sich in Valparaíso geliebt hatten. Er stand vor ihr mit seinem tragischen Gesicht, den durchdringenden Augen und dem Geruch nach Seife und frischem Schweiß, er nahm sie bei den Händen wie damals und sprach zu ihr glühende Worte über Gerechtigkeit und Gleichheit. Bisweilen lagen sie beide auf dem Berg aus Vorhängen im Zimmer der Schränke, Seite an Seite, völlig bekleidet, während die Holzwände unter den Peitschenhieben des Seewindes knarrten. Und immer, in jedem Traum, hatte Joaquín einen leuchtenden Stern auf der Stirn.
    »Und was bedeutet das?« wollte Tao Chi’en wissen.
    »Kein schlechter Mensch hat ein Leuchten auf der Stirn.«
    »Das ist nur ein Traum, Eliza.«
    »Es ist nicht einer, Tao, es sind viele Träume…«
    »Dann suchst du den falschen Mann.«
    »Vielleicht, aber es war keine verlorene Zeit«, entgegnete sie, ohne weitere Erklärungen abzugeben.
    Zum erstenmal seit vier Jahren wurde sie
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