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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition)
Autoren: Eliane Reinert
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sprechen«, bat er anschließend.
    »Tim?«
    »Ja, meine Königin!«, rief ich euphorisch, »wie geht es dir?«
    »Was ist los mit dir?«
    »Ach, nichts. Sag mir bitte, …«
    »Morgen ist der Geburtstag deiner Mutter, und wir sollten sie besuchen. Ich bin aus dem Krankenhaus entlassen worden und habe dem Chauffeur freigegeben, denn ich will, dass du mich abholst.«
    Ich war still und zitterte. Mir fiel sogar fast das Telefon aus der Hand.
    »Tim!«
    »Du hast gesagt: deine Mutter?«, fragte ich, und zeigte João vor mir fast alle meine Zähne.
    »Ja, deine Mutter, hast du etwa ihren achtzigsten Geburtstag vergessen?«
    Ich gebe zu, dass ich gelegentlich Geburtstage vergesse, sogar Lyndas.
    »Das heißt, sie lebt noch?«, hätte ich beinahe gefragt, aber unterließ es zum Glück.
    Meine Frau brachte ihre Missbilligung durch ein brummendes Geräusch zum Ausdruck. Lynda und ihre gute Laune, wie immer.
    »Liebste, natürlich will ich Mama sehen, und zwar gleich. Ich werde einen alten Freund mitbringen. Ich glaube, sie wird sich freuen, ihn zu sehen.«
    Wir fuhren mit meinem Wagen los und hielten am Ortsausgang an einem bescheidenen Zeitungskiosk. Der Verkäufer beklagte sich bei seinem Kunden über das fehlende Geld, über die Regierung,
    über die Hitze und über seine Krankheit, ohne näher zu erklären, welche es war.
    Der Kunde ging und er drehte sich zu uns. Meine Medaille funkelte im Licht der Sonne, die in Horizonte fast immer scheint. Er lachte und deutete auf sie. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mit dieser alten Medaille Aufmerksamkeit erregte, dazu noch mit diesem knallblauen Band.
    »Ein Athlet?« Er hustete und spuckte in sein Taschentuch.
    »Schon lange nicht mehr«, antwortete ich und senkte den Kopf, um die Schlagzeilen zu überfliegen.
    »Ich war auch mal einer.«
    »Ah ja?« Ohne großes Interesse und versuchte, mich auf die Zeitung zu konzentrieren.
    Wir kauften schließlich die Zeitung und wollten gehen, aber da war etwas: diese Augenbrauen. Sie kamen mir bekannt vor und verursachten in mir ein unangenehmes Gefühl.
    »Wie heißen Sie denn?«, fragte ich und setzte ein falsches Lächeln auf.
    »Ray«, antwortete er und hustete wieder. »Roger Ray, und Sie?«
    Ich war steif wie eine Salzsäule. João stieß mich an und räusperte sich.
    »Ligier. Tim Ligier«, antwortete ich.
    »Ah! Hab’ ich es mir doch gedacht. Sind Sie der bekannte Autobauer?« Sein Lächeln gab eine Reihe ungepflegter Zähne und einige Lücken preis. »Sie waren die letzten Tage im Fernsehen, nicht wahr?«
    »Ja, ja«, brachte ich heraus.
    »Was für eine Ehre, Herr Ligier. Mein Enkel würde alles tun, um Sie kennenzulernen. Wir alle bewundern Sie. Mir gefallen Ihre Maschinen, auch wenn ich mir keine davon leisten kann. Aber ich lese Ihre Artikel.« Er drehte sich um und ergriff eine Zeitschrift, für die ich regelmäßig über Motoren und die neuesten Tendenzen auf dem Fahrzeugmarkt schreibe.
    Ich war über diesen bescheidenen und gebrechlichen alten Mann geschockt.
    »Würden Sie mir ein Autogramm geben?«
    »Natürlich, mit Vergnügen«, antwortete ich, und setzte meine Unterschrift neben das kleine Foto in der Zeitschrift.
    Als er vor den Kiosk trat, war nichts mehr von diesem jungen, schlanken professionellen Schwimmer mit dem perfekten Körper zu erkennen. In seiner Haut hatte die Zeit ihre Zeichen hinterlassen, und in seinen wenigen weißen Haaren war keine Pomade mehr zu sehen.
    Ich erschrak, als ich bemerkte, dass er kleiner war als ich, und ich gebe zu, dass ich Mitleid für diesen alten, schwächlichen Mann empfand.
    In seiner Hand hielt er ein völlig überholtes Handymodell.
    »Darf ich ein Foto machen?«, bat er und hielt das Gerät hoch.
    »Selbstverständlich!«
    In diesen Augenblicken an seiner Seite fühlte ich mich schäbig und zu menschlich, weil ich zuließ, dass alte Gefühle wieder in mir aufstiegen.
    Alles erschien wieder vor mir: seine Augenbrauen im Spiegel und die Arroganz, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, mein Auto, dass er in den Müll geworfen hatte und die Enttäuschung, die ich an jenem Fenstersims empfunden hatte. Ich fühlte wieder die Hitze und die Tränen auf meinem verstaubten Gesicht, während ich frustriert auf meinem Fahrrad nach Hause fuhr, die Empörung, von meinem Idol verachtet worden zu sein. Als die Traurigkeit mein Herz einnehmen wollte, beschloss ich, gegen diese Gefühle anzugehen.
    Ich lächelte für das Foto. Er schaute es kurz an und log, es sei sehr gut gelungen. Nachdem
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