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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition)
Autoren: Eliane Reinert
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die Stadt. Alles sah ganz anders aus und nichts erinnerte mehr an die Vergangenheit. Ich hielt an der Ecke an, wo früher der Mercadinho do Genésio gewesen war. Jetzt befand sich dort eine Kunstgalerie, und das Gebäude war so gut in Schuss, als sei es unter Denkmalschutz gestellt worden.
    Eine sympathische junge Frau lächelte, als ich durch die automatische Tür eintrat. Mir kam der Raum viel größer vor; in ihm waren viele Bilder und Skulpturen ausgestellt, es gab einen Ständer mit informativen Prospekten und eine moderne Theke an der Stelle des alten Tresens, von dem aus Genésio seine Blähungen im Laden verbreitet hatte. Die Bilder an der Wand passten zu den kalten Skulpturen; das Lächeln des jungen Mädchens schien mir das einzige Attraktive in diesen Raum zu sein.
    Ich kauerte mich an dem Ort nieder, an dem Mama meiner Schätzung nach zu Boden gefallen war. Ich erhob mich, als die Frau zu mir kam und mich fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Ja, danke.« Ich kratzte mich an meinem Kopf und erklärte: »Ich mache nur einige Berechnungen.«
    Sie lächelte, ohne zu verstehen, welche Berechnungen das waren.
    In der rechten Ecke hinter der Theke gab es eine kleine Tür. Ich ging hin und musterte sie. Dann drehte ich mich zu der Frau und fragte:
    »Darf ich da reinschauen?«
    Sie schaute zur Tür und dann zu mir.
    »Da gibt es nur Kisten, Papier, Bilderrahmen und einen Staubsauger. Es ist eine Abstellkammer.«
    Dann lächelte sie wieder und sagte, sie kenne mich aus dem Fernsehen. Das war für mich die Erlaubnis zum Eintritt.
    Es war ein etwa vier Quadratmeter großer Raum, von dem eine Treppe ins Obergeschoss führte, dessen Zugang durch eine Mauer verschlossen war. Das bedeutete, dass es einmal einen Zugang zu Genésios Haus gegeben hatte.
    Jemand muss an diesem Abend dort gewesen sein, ohne dass Genésio es bemerkt hatte.
    Ich ging hinaus und lief um die Galerie herum. Das alte Haus war renoviert worden, aber die Struktur war noch dieselbe, und die Eingangstür, von der aus Vicenta tatenlos hatte zusehen müssen, wie ihr Sohn auf der Straße verprügelt wurde, war noch an derselben Stelle.
    Ich ging zurück in die Galerie, ohne die nette Empfangsdame zu beachten. Etwas begann sich in meinen Gedanken zu erhellen.
    Ich ging einige Schritte von der Theke zu der Stelle, an der Mama getroffen worden war. Dann wiederholte ich den Ablauf von der Tür der Abstellkammer aus und stellte mir die genaue Schussbahn vor.
    Als ich Mama in meinen Armen hielt, hatte ich genau gesehen, dass die Kugel sie unter der Achsel getroffen hatte, das heißt, von der Seite und nicht frontal in die Brust.
    Ich ging hinter die Theke. Die junge Frau dachte sicherlich längst, dass ich nicht derjenige war, für den sie mich gehalten hatte. Ich stellte mir Genésios Position vor… und schoss.
    Es passte nicht zu der Szene, der ich beigewohnt hatte.
    Als Mama vom Geräusch am Eingang abgelenkt worden war, hatte sie nur ihren Kopf, nicht aber ihren Köper umgedreht.
    »Er war es nicht. Es war nicht Genésio!«, rief ich und schaute auf den Geheimgang. Es war noch jemand bei diesem Verbrechen zugegen.
    Auf einmal war mir alles klar.
    Ich dankte der jungen Frau und beugte mich vor, um ihre Hand zu küssen. Sie gab ein bezauberndes Lachen von sich, und ich verließ hochzufrieden die Galerie, setzte mich in meinen Wagen, der mich in Windeseile wieder zurück nach Horizonte brachte.
    Zwei Lektionen:
    1. Das menschliche Wesen überrascht uns immer wieder. Ihm zu sehr zu vertrauen oder zu sehr an ihm zu zweifeln, kann gefährlich sein.
    2. In der Gegenwart zu leben, ist immer am besten, auch wenn die Vergangenheit die größten Emotionen bewahrt.
    Das Ende einer Reise?
    Ich trat in den Saal, wo er neben dem Kamin auf mich wartete. Als er mich sah, setzte er sich auf denselben Sessel und – als ob er wusste, was ich wollte – wies mir den anderen zu.
    »Ich will zurück!«, sagte ich.
    Er war keineswegs überrascht und nickte nur mit dem Kopf. Ich machte es mir auf dem Sessel bequem, auf dem ich zumindest zwei Stunden lang gesessen hatte.
    Zurückzugehen, war gleichzeitig eine große Aufregung und eine Herausforderung.
    »Ihre Stirn ist gerunzelt, Tim. Entspannen Sie sich und beginnen Sie, zu zählen.«
    »Eins, zwei, drei… zwölf, dreizehn …«
    Als ich meine Augen öffnete, saß ich hinter ihr auf dem Pferd, mit dem sie im Galopp die Abkürzung zur Stadt genommen hatte. Die Dunkelheit der Nacht hatte sich wie ein Mantel um uns gelegt. Ich
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