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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen
Autoren: Philipp Hübl
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kommt ein «Woher willst du das wissen?». Dieser reflexartige Skeptizismus ist die Karikatur wissenschaftlicher Skepsis. Er verwechselt gesichertes Wissen mit Unfehlbarkeit. Ironischerweise kann man philosophisch zeigen, dass es unmöglich ist, alles gleichzeitig in Frage zu stellen.
    Verwandt mit dem Zweifel ist die Kritik. So nehmen viele an, zu großen gesellschaftlichen Fragen müssten gerade Philosophen Stellung beziehen, weil sie besonders qualifiziert seien. Doch erstens kann sich jeder zu drängenden Themen ein kompetentes Urteil bilden. Und zweitens hat auch jeder die Pflicht, Missstände und Ungerechtigkeiten anzuprangern und zu beheben. Eine philosophische Ausbildung mag dabei helfen. Sie ist aber nicht der Königsweg zur politischen Mündigkeit.
    Philosophen sind auch nicht von Haus aus Lebensberater, die uns sagen können, wie wir ein glückliches und erfülltes Leben führen, auch wenn einige in dieser Branche ihr Glück versuchen.
     
    Und schließlich ist die Philosophie nicht an ihrem «Ende» angekommen und wurde auch nicht durch die anderen Wissenschaften ersetzt. Der englische Philosoph John L. Austin verglich die Philosophie einmal mit der Sonne, die nach und nach die Einzelwissenschaften ausgeworfen habe, die dann zu Planeten erkalteten. Manche gehen weiter: Die Sonne habe aufgehört zu strahlen, und nur noch die Planeten seien übrig geblieben.
    Das ist ein ansprechendes Bild, doch leider ist es schief. Aristoteles beispielsweise hat danach gefragt, was ein Wesen lebendig macht oder warum wir träumen. Das waren empirische Probleme: Aristoteles war eben auch Naturwissenschaftler, selbst wenn es dafür noch keine eigene Bezeichnung gab. Er diskutierte aber vor allem echte philosophische Fragen, zum Beispiel nach der Natur der Zeit oder der Verursachung. Das hat sich bis heute nicht geändert. Zwei Beispiele: Physiker formulieren Naturgesetze, aber was ein Naturgesetz ist, gehört nicht zu den Fragen der Naturwissenschaft. Und Psychologen erklären unser Verhalten, aber sie fragen sich selten, was eine gute psychologische Erklärung ausmacht. Wenn sie es tun, dann betreiben sie Philosophie.

Lassen Sie mich durch, ich bin Philosoph!
    Wer auf einer Party zugibt, dass er Philosophie studiert oder gar unterrichtet, steht immer wieder einer Mischung aus Bewunderung und Befremden gegenüber. Manchmal überwiegt die Bewunderung, weil man die großen Rätsel der Menschheit in Angriff nimmt, manchmal das Befremden, weil man sich mit so wahnsinnig lebensfernen Themen befasst.
    Darauf folgen immer die gleichen Fragen, zum Beispiel: «Wer ist dein Lieblingsphilosoph?», als seien Philosophen Schriftsteller, Schauspieler oder Regisseure. Die einzig passende Antwort ist «Woody Allen», denn der ist alles gleichzeitig.
    Die zweite typische Frage lautet: «Warum Philosophie?» Ganz ehrlich: Das frage ich mich auch jeden Tag. Fodor hat eine gute Antwort. Er sagt: Die Bezahlung ist schlecht, der Fortschritt ist langsam, aber man lernt spannende Leute kennen.
    Die dritte typische Frage ist oft von einem besorgten Blick begleitet: «Und was macht man damit?» Ich war viele Jahre Studienberater am Philosophischen Institut. Zuerst habe ich immer meinen Standardsatz aufgesagt: Philosophen arbeiten in Verlagen, in den Medien, in der Politik und in der Unternehmensberatung. Dann habe ich gemerkt, dass es wirkungsvoller ist, Absolventen der Philosophie aufzuzählen, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben: Bruce Lee, Martin Luther King, Papst Benedikt  XVI .
    Wittgenstein, der immer eine starke Metapher aus dem Ärmel schütteln konnte, sagt, die Philosophie sei ein «Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache». Heute sind Philosophen Ärzte ohne theoretische Grenzen, die nicht nur Sprachverwirrungen therapieren, sondern Unsinn in allen Lebenslagen entlarven. Sie arbeiten mit einem Wahrheits-Detektor, der Alarm schlägt bei den Worthülsen der Politik, der Propaganda der Werbung, den Klischees des Kinos und den Fehlschlüssen in Fernsehsendungen und Zeitungsberichten.
    Trotzdem ist die These weit verbreitet, die Philosophie erfülle keine gesellschaftliche Funktion. Philosophen haben selbst zu diesem Vorurteil beigetragen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel meint, die Philosophie käme immer zu spät, nämlich dann, wenn schon nichts mehr zu ändern sei: Die «Eule der Minerva», also die allegorische Weisheit, beginne erst «mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug». Das weiße
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