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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen
Autoren: Philipp Hübl
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eine
Handlungsvorbereitung
: Adrenalin flutet das Hirn und erhöht unsere Aufmerksamkeit, Blut fließt in die Beine und bereitet uns auf die Flucht vor, und natürlich entsteht in uns auch der Drang, tatsächlich wegzulaufen.
     
    Wer Angst und andere Gefühle mit einer Theorie erklären will, muss zwei wichtige Fragen beantworten. Erstens: «Was ist wesentlich für Gefühle?» Wesentlich ist ein Merkmal dann, wenn es nicht fehlen darf. Denken wir noch einmal an den Dobermann: Damit ein Tier ein Hund ist, muss es ein bestimmtes Genom haben. Das Genom ist für das Hundsein wesentlich. Die Anzahl der Beine ist nicht wesentlich: Ein dreibeiniger Hund ist immer noch ein Hund. Die Farbe des Fells ist auch nicht wesentlich. Man kann zum Beispiel einen Pudel rosa färben. Damit nimmt man dem Pudel aber nicht seinen Kern.
    Auf Gefühle bezogen, lautet die Frage also: Welche der fünf Charakteristika dürfen nicht fehlen, damit ein Zustand ein Gefühl ist? Als sich meine Freundin von mir getrennt hat, war ich traurig. Was ist wesentlich für dieses Erlebnis? Die
Körpertheorien
sagen: Wesentlich ist eine Form von Körpererleben. Keine Traurigkeit ohne Tränen oder einen Kloß im Hals. Die
kognitiven Theorien
, also die Gedankentheorien, sagen: Gefühle haben immer etwas mit einer Interpretation oder Beurteilung zu tun. Keine Traurigkeit ohne das Wissen, dass man etwas verloren hat, zum Beispiel eine Partnerschaft oder auch die Großeltern. Die
Mischtheorien
sagen: Gefühle sind aus mehreren Elementen zusammengesetzt. Man kann Gefühlstheorien gut in diese drei Gruppen einteilen.
    Die zweite Frage lautet: «Welche Funktion haben Gefühle?» Bei Angst scheint die Funktion offensichtlich zu sein: Vorbereitung und Motivation zur Flucht. Bei meiner Traurigkeit war das nicht so offensichtlich. Sie hat mich gelähmt, aber es ist schwer zu sagen, ob sie mich dadurch auf etwas vorbereitet hat.

Unsichtbare Schlangen und körperliche Alarmglocken
    Doch zuerst zu den Theorien: Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, beobachtete um 1870 , dass Affen bei Überraschung die Brauen hochziehen und die Augen aufreißen. Dadurch vergrößert sich ihr Sichtfeld, sodass sie besser auf Beute oder Gefahr reagieren können. Ein klarer Überlebensvorteil. Wenn Katzen Angst haben, machen sie einen Buckel. Dadurch erscheinen sie größer. Auch das kann in der Evolution ein Vorteil gewesen sein, denn es mag Angreifer abgeschreckt haben. Nun könnte man meinen, dass Darwin auch die menschlichen Emotionen untersucht hat. Immerhin haben wir die gleichen wie andere Säugetiere und noch einige, die bei Tieren nicht vorkommen, zum Beispiel Scham oder Neid. Überraschenderweise hielt er den Ausdruck menschlicher Gefühle jedoch weitgehend für funktionslose Überbleibsel der Evolution. Eine Gefühlstheorie für Menschen entwickelte Darwin nicht. Dennoch kann er als ein früher Körpertheoretiker gelten, denn ihm zufolge sind Gefühle am Körper ablesbare Verhaltensmuster.
    Die erste ausgearbeitete Körpertheorie begründeten zwei Wissenschaftler um 1900 unabhängig voneinander, nämlich der amerikanische Psychologe William James und sein dänischer Kollege Carl Georg Lange. Der
James-Lange-Theorie
zufolge sind Gefühle Wahrnehmungen von Körpervorgängen. Das klingt zunächst wenig überraschend, hat aber eine paradoxe Pointe: Laut James zittern wir nicht, weil wir Angst haben, sondern wir haben Angst, weil wir zittern. Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen. Die Wahrnehmung der Körpervorgänge geht dem Gefühl nicht voran, sondern die Wahrnehmung
ist
das Gefühl. James lädt uns zu einem Gedankenexperiment ein: Wenn man alle Körpererlebnisse von der Angst wegnähme, bliebe nur ein blasser Gedankenrest übrig, der nichts mit dem Gefühl zu tun hat. Ein einfaches psychologisches Experiment scheint diesen Ansatz zu belegen. Setzen Sie sich einmal hin, und verziehen Sie Ihr Gesicht zu einem Lachen. Nach einiger Zeit werden Sie dann wirklich fröhlich. Inzwischen gibt es Seminare für Lach-Yoga, in denen die Teilnehmer den schmunzelnden Löwen oder den kichernden Pinguin imitieren und am Ende freudestrahlend nach Hause gehen. Diesen Effekt kann man so auslegen, als sei Freude nichts anderes als die Wahrnehmung der veränderten Gesichtsmuskulatur.
     
    Dennoch hat die Theorie einen Haken: Sie sagt voraus, dass ein vermindertes Körpererleben zu einem verminderten Gefühlserleben führt. Sie ist also
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