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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Schrei der Krankenschwester hatte auch die beiden Ärzte herumfahren lassen. Einer der beiden erbleichte beim Anblick der Waffe, aber der andere war dumm genug, den Helden spielen zu wollen, und versuchte sich auf Mikail zu stürzen. Der Rumäne schlug ihn blitzschnell und ohne sichtbare Mühe zu Boden, aber seine weit ausholende Bewegung erwischte auch Torben und schleuderte ihn gegen ein Regal. Glas zerbrach. Irgendetwas biss mit einem dünnen, aber tiefen Stich in seinen rechten Handrücken. Er fiel nicht, aber der Dolch entglitt seinen Fingern und schepperte zu Boden, die Hebamme presste das Neugeborene an sich und schien verzweifelt nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten, und die Frau auf dem Tisch begann in hohen, spitzen Tönen zu schreien.
    Trotzdem hätte vielleicht doch noch alles so kommen können, wie es geplant war, wäre nicht ausgerechnet jene eine, schicksalhafte Sekunde gewesen. Torben spürte die Katastrophe kommen – den Bruchteil eines Herzschlags, bevor sie wirklich geschah: Die Zeit schien sich zu dehnen, als hielte die Schöpfung selbst den Atem an, und alles geschah scheinbar gleichzeitig: Die Frau auf dem Tisch schrie noch lauter. Auf dem Gesicht der Hebamme erschien ein Ausdruck fassungsloser Ungläubigkeit, als ihr Blick zwischen die weit gespreizten Beine der Gebärenden fiel. Die Krankenschwester und einer der Ärzte hatten die Arme gehoben und waren so weit zurückgewichen, wie es in dem engen Raum überhaupt möglich war, und auch der Arzt, den Mikail niedergeschlagen hatte, stemmte sich taumelnd wieder in die Höhe, wobei er sich mit der linken Hand an der Kante des Operationstisches festhielt. Draußen über der Stadt explodierten die ersten, pünktlich gezündeten Raketen und Böller. Vielleicht war es auch nur das Geräusch eines Sektkorkens, den eine der Krankenschwestern im Stationszimmer draußen Schlag Mitternacht knallen ließ, so sonderbar weich und gedämpft, wie das Geräusch klang. Doch so leise es war, es genügte, um die Katastrophe auszulösen.
    Vielleicht hielt Pjotr es für einen Schuss. Vielleicht war es auch nur der Vorwand, auf den er gewartet hatte. Vielleicht gingen ihm schlichtweg die Nerven durch. Gleichgültig, aus welchem Grund: Er hob die Uzi, riss den Abzug durch und schwenkte die Waffe von links nach rechts. Die Mikro-Maschinenpistole stieß orangerotes Feuer und ein ratterndes Geräusch aus, das viel leiser war, als Torben erwartet hatte, und der Arzt und die junge Krankenschwester stürzten getroffen und in einem Hagel aus splitterndem Glas, Lack- und Metalltrümmern zu Boden. Querschläger prallten von Metallregalen und den gefliesten Wänden ab und richteten noch mehr Schaden an, und Pjotr schwenkte seine Waffe weiter, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen. Etliche Geschosse trafen die große Lampe über dem OP-Tisch und überschütteten die Frau darauf mit scharfkantigen Splittern, und mindestens zwei Kugeln trafen den Arzt auf der anderen Seite des Tisches und schleuderten ihn ein zweites Mal und diesmal sterbend zu Boden. Torben schlug instinktiv die Arme über den Kopf und krümmte sich, als der Söldner die Waffe weiter in seine Richtung schwenkte, noch immer ohne den Finger vom Abzug zu nehmen, fast als könne er es nicht mehr, als zwinge ihn eine düstere Macht, das einmal begonnene Vernichtungswerk zu Ende zu bringen. Die Kugeln stanzten rasend schnell eine schnurgerade Linie greller Funkenschauer und Staubexplosionen aus den Wänden, zertrümmerten das Regal hinter ihm endgültig und verfehlten Torben buchstäblich um Haaresbreite, und vielleicht nicht einmal das. Er spürte einen heftigen Schmerz im Gesicht, konnte aber nicht sagen, ob ihn eines der Geschosse oder ein Glassplitter verletzt hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Hebamme schützend über die hilflose Frau auf dem Tisch warf und auch Mikail hastig den Kopf einzog. Dann hörte das trommelfellzerreißende Hämmern der Uzi endlich auf. Aber es wurde nicht still. Zerbrochenes Glas regnete zu Boden, elektrische Kurzschlüsse zischten und eine Frau wimmerte. Von draußen drang das gedämpfte Knallen explodierender Raketen und Böllerschläge herein, und Schreie. Vielleicht waren die Schüsse gehört worden und in der Klinik brach bereits Panik aus. Aber vielleicht war es auch nur der Lärm der Feiernden, die ausgelassen auf das neue Jahr anstießen. Neben ihm wimmerte jemand vor Schmerz und obwohl er nicht hinsah, wusste er, dass es Mikail war, den eine von Pjotrs Kugeln
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