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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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blickte hinaus, in dem zum Flur hin verglasten Stationszimmer waren zwei junge Frauen damit beschäftigt, ein Tablett voller Sektgläser zu füllen, und auf einer schlichten Plastikbank neben der Tür zum Kreißsaal saß ein ziemlich nervös wirkender junger Mann, der mit den Händen rang und ununterbrochen auf die Uhr sah.
    Der Vater.
    Torben hatte gehofft, dass es sich um einen jener modernen Väter handelte, die bei der Geburt zusehen wollten, sah sich aber getäuscht. Er hatte offenbar vor, hier draußen zu warten, und das war nicht gut. Jede Person, die hier auf dem Flur blieb, ließ ihr Risiko explodieren, vorzeitig entdeckt zu werden. Er sah auf die Uhr. Noch vierzig Sekunden. Mikail und die beiden Brüder hatten die Tür zum Kreißsaal erreicht und waren davor stehen geblieben und Torben ging ganz automatisch langsamer, um nicht zu früh anzukommen. Der Kindsvater blickte bereits stirnrunzelnd zu den drei Söldnern hoch und fragte sich wahrscheinlich, wer sie waren und was sie hier taten. Wie werdende Väter sahen sie jedenfalls nicht aus.
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, murmelte Pjotr: »Keine Sorge, ich kümmere mich um ihn.«
    »Sie werden ihm nichts tun.«
    »Bestimmt nicht«, versicherte Pjotr. »Ich werde ihn in den Schlaf singen.«
    Seine Antwort machte Torben wütend, aber sie waren schon zu nah und er hatte keine Zeit mehr, irgendetwas zu erwidern. Sie hatten noch zwanzig Sekunden.
    Pjotr ging ein wenig schneller, lächelte dem Vater zu und beugte sich leicht vor, und der Mann setzte sich auf und sah dem Russen erwartungsvoll entgegen; vermutlich hielt er ihn für einen Arzt, der gekommen war, um ihm irgendetwas mitzuteilen. Pjotrs Neuigkeit bestand aus einem blitzschnellen Handkantenschlag gegen die linke Seite seines Halses, der ihm auf der Stelle das Bewusstsein raubte. Der Mann sackte nach vorne und wäre von der Bank gefallen, hätte der Russe ihn nicht aufgefangen und so drapiert, dass es aussah, als wäre er nur eingeschlafen. Die ganze Aktion hatte nicht einmal eine halbe Sekunde gedauert.
    Torben sah sich alarmiert um. Der Pfleger sah immer noch aus dem Fenster, und auch im Schwesternzimmer rührte sich nichts. Niemand schrie, keine Alarmsirenen schrillten los. Niemand hatte etwas bemerkt. Sie hatten noch zwölf Sekunden. Torbens Hand glitt in die Jackentasche und schloss sich um den Griff des Dolches, den er darin trug. Das Messer war viertausend Jahre alt, aber das Metall fühlte sich so glatt an, als käme es frisch aus der Schmiede. Und es war kalt, eiskalt.
    Auf ein Nicken Pjotrs hin schlenderte Lev scheinbar gemächlich auf den Pfleger am Ende des Ganges zu, während sein Bruder Stanislav ohne Eile zum Schwesternzimmer zurückging. Noch acht Sekunden.
    »Jetzt«, sagte Torben.
    Pjotr stieß die Tür zum Kreißsaal auf, trat ein und zog in der gleichen Bewegung die Uzi unter dem Kittel hervor, während in Mikails Hand wie aus dem Nichts eine großkalibrige Pistole erschien. Torben, der den Kreißsaal als Letzter betrat, nahm die Hand vom Messer und machte einen raschen Schritt zur Seite, um freie Sicht zu haben und sich zu orientieren. Er war schon ein Dutzend Mal hier oben gewesen, aber noch niemals hier drinnen, und obwohl er die Pläne des Krankenhauses gründlich studiert hatte, war er im ersten Moment erstaunt, wie klein der Raum wirkte. Der Kreißsaal war kein Saal, sondern eher eine Kammer. Zwischen dem OP-Tisch mit der riesigen Lampe – sie sah aus wie eine umgedrehte Lanzette aus der Serie »Raumpatrouille« – und den Wänden war gerade noch Platz, um einigermaßen bequem stehen zu können. Abgesehen von der Mutter und der Hebamme, die am Ende des Tisches stand, hielten sich noch eine Krankenschwester und zwei Ärzte hier drinnen auf, aber erstaunlicherweise nahm im ersten Moment niemand von ihrem rüden Eindringen Notiz.
    Um genau fünf Sekunden vor Mitternacht richtete sich die Hebamme auf und hielt ein mit Blut und Schleim bedecktes Neugeborenes hoch. »Da ist es ja!«, rief sie. »Was für ein wunderschöner kleiner Schatz!«
    Torben zog den Dolch aus der Tasche und empfahl seine Seele dem Herrn – und die Krankenschwester wandte den Blick zur Tür, sah die Waffe in Pjotrs Händen und stieß einen spitzen Schrei aus. Und im gleichen Moment verwandelte sich der Raum in ein einziges Durcheinander aus Schreien, Lärm, hektischer Bewegung und reinem Chaos.
    Torben riss seinen Dolch in die Höhe und versuchte die Hebamme zu erreichen, aber es gelang ihm nicht, denn
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