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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig!
Autoren: Jonathan Kellerman
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Wir haben eine erstklassige Kopie machen können. Eine Staatsanwältin ist dabeigewesen, und sie meint, daß sie damit durchaus etwas anfangen kann. Noch einmal, Doktor, vielen Dank. Bis später, Milo.«
    Er schüttelte uns die Hände, salutierte und ging dann weg, wobei er das Gerät wie ein Neugeborenes in Händen hielt.
    »Du entwickelst ständig neue Talente«, sagte Milo. »Jetzt wird dich Hollywood mit Angeboten überhäufen.«
    »Schon möglich«, sagte ich und massierte meinen Brustkorb. »Sie sollen sich an meinen Agenten wenden. Wir können uns dann in der Polo Lounge besprechen.«
    Er lachte und zog seine Kampfanzugjacke aus.
    »In dem Ding komm’ ich mir vor wie das Michelin-Männchen.«
    »So gut möchtest du wohl mal aussehen!«
    Wir gingen zusammen zum Viadukt. Der Himmel war still und dunkel geworden. Hinter dem Tor brummten Motoren. Wir kamen auf die Brücke, traten auf kühlen Stein. Milo langte nach oben, pflückte eine Traube vom Spalier und steckte sie sich in den Mund.
    »Durch deine Hilfe sieht jetzt alles wesentlich günstiger aus, Alex«, sagte er. »Sicher, sie hätten ihn vielleicht bei der Rauschgiftsache festnageln können. Aber die Mordanklage macht ihn erst richtig fertig - da kommt er nicht mehr raus. Das, zusammen mit dem Niedergang von Prinz Stinker, ergibt eine recht erfolgreiche Wochenbilanz für unsere Seite.«
    »Großartig«, sagte ich müde.
    Ein paar Meter danach fragte er: »Bist du okay, Kumpel?«
    »Es wird schon werden.«
    »Denkst du an den Jungen?«
    Ich blieb stehen und schaute ihn an.
    »Mußt du gleich in deine Dienststelle zurückfahren?« Er legte seinen schweren Arm auf meine Schulter, lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Wenn ich zurückkomme, wartet ein Berg von Papierkram auf mich. Der kann ruhig noch etwas länger warten.«

27
    Ich stand in einiger Entfernung und schaute durch die Wand aus Plastik.
    Der Junge lag auf dem Bett, still, aber wach. Seine Mutter saß neben ihm und wirkte fast wie eine Puppe in Raumanzug, Handschuhen und Maske. Ihre Blicke wanderten durch den Plastikwürfel, dann richteten sich die dunklen Augen kurz auf das Gesicht des Jungen, schließlich auf die Seiten des Buches, das sie in der Hand hielt. Er versuchte sich aufzusetzen, sagte etwas zu ihr. Sie nickte und hielt ihm eine Tasse an die Lippen. Das Trinken erschöpfte ihn im Nu; er legte sich wieder zurück auf die Kissen.
    »Hübsches Kind«, sagte Milo. »Wie groß ist seine Chance? Was sagt der Doktor?«
    »Er hat eine starke Infektion, aber er bekommt intravenös hohe Dosen von Antibiotika, und man glaubt, die Infektion so in den Griff zu bekommen. Der Tumor hat sich vergrößert - er beginnt gegen das Zwerchfell zu drücken, was gar nicht gut ist -, doch bisher gibt es keine Anzeichen für irgendwelche weiteren Schädigungen. Morgen beginnen sie mit der Chemotherapie. Im ganzen gesehen ist die Prognose gut.«
    Er nickte und ging dann hinüber in den Stationsraum der Schwestern. Der Junge schlief jetzt. Seine Mutter küßte ihn auf die Stirn, zog ihm die Decke hoch und schaute wieder auf das Buch. Blätterte darin, legte es weg und begann dann, in dem Plastikwürfel Ordnung zu machen. Zuletzt setzte sie sich wieder neben das Bett, faltete die Hände auf dem Schoß, blieb bewegungslos sitzen und wartete.
    Die beiden Justizbeamten kamen aus dem Stationsraum. Der Mann war dicklich und in mittleren Jahren, die Frau klein und zierlich und blond gefärbt. Er schaute auf seine Armbanduhr und sagte zu seiner Partnerin: »Es ist Zeit.« Sie ging zu der Strömungskammer und klopfte gegen die Plastikwand.
    Nona blickte auf.
    Die Frau sagte: »Es ist Zeit.«
    Das Mädchen zögerte, beugte sich über das schlafende Kind und küßte es mit plötzlich erwachter Intensität. Der Junge sagte etwas und rollte sich dann auf die andere Seite. Die Bewegung ließ das Infusionsstativ, an dem die umgekippten Flaschen hingen, vibrieren, und sie hielt es fest, strich dann dem Jungen übers Haar.
    »Kommen Sie jetzt, Honey«, sagte die Justizbeamtin.
    Das Mädchen versteifte sich und stolperte aus der Strömungskammer. Sie nahm Maske und Handschuhe ab und ließ den sterilen Anzug auf die Füße hinunterrutschen. Darunter trug sie einen Overall. Auf den Rücken waren mit einer Schablone die Buchstaben
    EIGENTUM DES GEFÄNGNISSES IM SAN DIEGO COUNTY
    aufgemalt worden, dazu eine Seriennummer. Ihr rotes Haar hatte sie nach hinten zu einem Ponyschwanz frisiert. Die goldenen Ringe in ihren Ohren fehlten. Ihr
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