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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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verschwunden blieben. Der Junge, der mit Freude und Händlerstolz in der Stimme »Ratten! Frische Ratten!« anbot und seine abgehäutete Ware binnen zehn Minuten abgesetzt hatte.
    »Wo haben sie Sie erwischt?«, fragte Sherman.
    »In der Wilderness«, 15 antwortete Gowers, »ziemlich am Anfang.«
    Hundertzehntausend Männer in einem undurchdringlichen Wald, keine Frontlinien mehr, Kampf Mann gegen Mann, hinter zerschossene Bäume geduckt. Freund und Feind im Pulverdampf nicht mehr zu unterscheiden. Verwundete beider Seiten, die jämmerlich schreiend im vom Mündungsfeuer entzündeten Unterholz verbrannten.
    »Dann waren Sie ja«, der rothaarige General rechnete kurz, »fast fünf Monate drin. Ich dachte nicht, dass irgendwer es so lange aushalten kann.«
    Gowers zuckte jetzt nur mit den Schultern. Man musste sich schon danach drängen, am Leben zu bleiben. Nur für sich sorgen. Die schwächeren Kameraden vergessen. Den ohnehin Sterbenden die letzte Ration wegnehmen. Möglichst wenig aus
dem verseuchten Fluss trinken. Regenwasser. Oder den eigenen Urin.
    »Wie sind Sie rausgekommen?«
    »Zwei Posten getötet und über den Zaun, Sir.«
    Sie hatten sie praktisch zeitgleich erledigt, was nur möglich war, weil Gowers im Dunkeln sehen konnte, wie und wann Leutnant Frederick Milner dem einen Posten die Kehle mit einem angeschärften Löffelstiel durchschnitt. Der Mann, den er selbst hinterrücks tötete, war noch erschreckend jung gewesen. Er fühlte es daran, wie weich sein Bart war. Milner und er hatten zuletzt so vielen Männern wie möglich gesagt, dass es gleich eine Lücke in der Postenkette geben würde. Nicht, weil sie alle rausbringen wollten, sondern weil sie wussten, dass die Wächter auf alles schießen würden, was sich bewegte. Und je mehr sich bewegte, desto größer war die Chance für den Einzelnen.
    »Wir sind gerannt wie die Hasen und haben uns verkrochen wie Mäuse.«
    Er hatte gesehen, wie die Hunde Milner erwischten, und verdankte sein Leben allein der Tatsache, dass sie danach keine Witterung mehr hatten, weil ihre Nasen voller Blut waren. Er würde von nun an jeden Hund erschießen, der ihm näher als einen Meter kam. Und er hatte Henry Wirz gesehen, den kleinen Schweizer, den Kommandanten von Andersonville, der angeblich ausgehungerte Gefangene tötete, indem er sie in Leim gekochten Weizenbrei essen ließ.
    »Wie haben Sie uns gefunden?« Der General hatte seine Verwunderung noch immer nicht überwunden. Gowers zeigte nur auf die Sterne.
    »Ich bin Seemann, Sir. Und zuletzt kam ein Haufen Kavalleristen herein, die alle erzählten, dass Sie durch Georgia marschieren. Den Weg konnten wir uns ungefähr ausrechnen.«
    Die Geschichte war schnell herum. Shermans Männer dachten jetzt nur noch an die vollen Scheunen, die fetten Schweine in diesem Land, das ihre gefangenen Kameraden verhungern
ließ, und wurden krank vor Wut. Sie plünderten, raubten, zerstörten von nun an mit Wonne. Ein erboster Plantagenbesitzer kam auf einem Maultier angeritten und drang tatsächlich bis zu General Sherman vor.
    »Ich bin Privatmann, Sir! Ihre Männer haben mein Haus zerschlagen, mein Vieh gestohlen, meine Ernte in Brand gesteckt und meine Nigger entführt!«
    »Das waren nicht meine Männer«, erwiderte Sherman trocken. »Wären es meine Männer gewesen, hätten Sie kein Maultier mehr.«
    Ein schneidiger junger Ordonnanzoffizier, die Uniform in peinlich genauer Ordnung, fühlte sich durch diese Antwort entehrt und platzte mit hochrotem Kopf heraus: »So was können Sie über uns nicht sagen, Sir!«
    Der General funkelte ihn mit bösen kleinen Augen an.
    »Wann kapiert ihr Bilderbuchhelden endlich, dass ein Krieg keine Schönheitskonkurrenz ist?!«
     
    Weggehen, dachte John Gowers, als die Kriegslieder vor Tauranga Ika verstummt waren, mit denen sich die Angreifer Mut machen wollten. Einfach weggehen, wenn die großen Politikmacher und Generäle schweren Herzens und voller guter Absichten ihre Befehle erteilen. Ihnen auch dann nicht gehorchen, wenn sie im Recht sind und man ihrer Meinung ist. Aus Prinzip nicht gehorchen. Und im Kampf ausschließlich auf Offiziere schießen!
    Da er die Sprache der Maori noch immer nicht sprach, wusste er nicht, wie nahe er in diesem Moment ebensolchen Überlegungen war.
     
    Als Letzte von allen waren an diesem Tag die Maniapoto gekommen, eine kleine Abteilung grimmig dreinblickender Männer, die der abendlichen Versammlung der verbündeten Häuptlinge und Führer einen Brief des
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