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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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Taschenmesser an einem Stück Holz herumgeschnitzt. Aber danach stellte Mr. Lincoln in schneller Folge so viele unangenehme Fragen, dass die euphorische Stimmung der Kläger rasch umschlug.
    Was die Effie Afton , die doch gewöhnlich zwischen New Orleans und Louisville verkehre, eigentlich auf dem oberen Mississippi gesucht habe? Warum das Steuerbordrad des Dampfers zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in Betrieb gewesen sei? Welche Fracht in so kurzer Zeit einen so verheerenden Brand habe auslösen können?
    Als diese klugen Fragen beziehungsweise die unzureichenden und schließlich ganz ausbleibenden Antworten die öffentliche Meinung immer stärker zugunsten der beklagten Eisenbahngesellschaft beeinflussten, beschlossen die Schiffseigner, die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein anderes Ereignis zu lenken, und entschieden sich für eine Sensation, die seit dreißig Jahren das Interesse der Menschen auf beiden Seiten des Mississippi zuverlässig von allen anderen Dingen abzog: für ein Rennen! Ein Wettrennen der beiden schnellsten Dampfer auf dem Fluss, von New Orleans nach St. Louis.

2.
    Die Ankündigung, dass zwei wegen ihrer Geschwindigkeit berühmte Schiffe es auf einer Strecke von zwölfhundertachtzehn Meilen ausfechten würden, versetzte regelmäßig nicht weniger als zehn der Vereinigten Staaten von Amerika  – die, die an den großen Flüssen lagen  – in helle Auf regung. Waren die Namen der Kontrahenten einmal bekannt gegeben, wurde der Klatsch über sie wochenlang zu einem festen Bestandteil der Zeitungen. Die Politik, das Wetter, die Sklaven- oder die Indianerfrage, die Erweiterung der Union, die Lage in den Territorien, selbst sporadische Gold- oder Silberfunde waren von da an nur mehr zweitrangige Themen in den Saloons und Läden, auf den Straßen, Feldern und Veranden aller Ansiedlungen entlang des Mississippi, Ohio, Missouri und Arkansas.
    Es bildeten sich Parteien, es wurden Wetten abgeschlossen, jedermann hielt sich für einen Experten auf dem Gebiet der Dampfschifffahrt, und die Kapitäne der Sultana , der J. M. White , Belle of the West , Old Natchez oder Edward Shippen wurden kurzzeitig zu Helden, die den Vergleich mit Hektor und Achill, dem starken Ajax oder dem listenreichen Odysseus nicht scheuen mussten. War der angekündigte Zeitpunkt da und das mindestens viertägige Rennen einmal gestartet, zog der Mississippi Zuschauer aus allen Teilen des Landes magisch an. In den Städten und Dörfern am Fluss vermieteten findige Hausbesitzer ihre Fenster, ja sogar Sitzplätze auf ihren Dächern und verkauften Erfrischungsgetränke oder Kaffee und selbst gebackenen Kuchen. Auf dem Land, den Plantagen wurde das Ufer des großen Stroms Ziel von Ausflügen, Picknicks, und selbst den Sklaven erlaubte man, ihre Arbeit niederzulegen, um den Wettkampf der riesigen, aber ebenso filigranen schwimmenden Maschinen zumindest einige Stunden lang zu verfolgen.
    Weiter im Norden entstanden mitunter kleine Zeltstädte, in denen Zuschauer aus den entfernteren Gegenden die Vorüberfahrt der Dampfer beobachten konnten. Barfüßige Burschen auf Ackergäulen
versuchten, den Schiffen zu folgen, so weit es ging. Andere hatten eher Augen für die von überall her angereisten jungen Damen, Farmerstöchter in ihren besten Kleidern. Mancher Mann lernte bei dieser Gelegenheit eine Frau kennen, der er sonst vielleicht nie im Leben begegnet wäre, und wenn die Kinder solcher Verbindungen Zweitnamen wie Magnolia, Princess, Belle Key oder  – armer Bursche!  – General Quitman trugen, verdankten sie ihre Existenz gemeinhin einem Rennen der gleichnamigen Schiffe.
    Ein Rennen führte stets flussaufwärts, sodass die Schnelligkeit eines Dampfers wesentlich von der Stärke und Qualität seiner Maschine abhing. Immer wieder waren Heizkessel explodiert und ganze Schiffe in die Luft geflogen, weil die Maschinisten beides überschätzten. Seit ein Bundesgesetz den zulässigen Dampfdruck pro Quadratzoll begrenzte, waren es allerdings andere Faktoren, die über die Geschwindigkeit eines Schiffes entschieden. Das war natürlich das Wetter  – aber die Rennen fanden stets im zuverlässigsten Sommer statt, wenn auf Wochen hin keine Wolke am Himmel stand und kein plötzlicher Sturm das Wasser zu Flutwellen aufstaute.
    Das war natürlich das Gewicht, also die Fracht  – aber für ein Rennen wurde die Fracht sorgfältig so tariert, dass problemlos die beste Wasserlage gehalten werden konnte. Wusste man also etwa, dass ein Schiff bei
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