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Fluch der Leidenschaft

Fluch der Leidenschaft

Titel: Fluch der Leidenschaft
Autoren: Jo Beverley
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zivilisierter Ort gewesen – ein Ort, an dem die Wachen nie ihre Waffen hatten benutzen müssen, wo ein Gast immer willkommen war und wo die Gerechtigkeit mit Milde und Verständnis waltete.
    Eine solche Welt hatte ihr Vater für sie geschaffen, doch nun sah sie, dass sie eine Illusion gewesen war. Auch von Carrisford waren Männer in den Krieg gezogen, doch es hatte immer viel mehr wie eine Parade ausgesehen als eine militärische Expedition. Verwundete waren, das fiel ihr erst jetzt auf, immer in dem Lazarett versorgt worden, das ihr Vater im nahe gelegenen Kloster unterhielt.
    Das Schlimmste, was sie zu sehen bekommen hatte, waren verheilte Kriegswunden gewesen – ein fehlendes Bein etwa oder eine Augenbinde.
    Imogen war zu ihren Pflichten als Edelfrau erzogen worden und dazu, sich um Kranke und Verwundete zu kümmern, doch dies hatte sich auf die Versorgung kleiner Verletzungen und solcher Krankheiten beschränkt, von denen sie aller Wahrscheinlichkeit nach nichts zu befürchten hatte.
    Ihr Leben in Carrisford Castle war eine Idylle gewesen, aber auch eine Illusion. Dies hier war die Realität – die Burg Cleeve und Warbrick.
    Für derlei war ihre glückliche Kindheit keine gute Vorbereitung gewesen. Siward hatte recht. Sie musste wenigstens warten und herausfinden, was für ein Mensch FitzRoger, der Bastard, war.
    Der großspurige junge Mann mit dem Ale bahnte sich seinen Weg zum Brauhaus zurück. »Hier«, sagte er und schob ihnen im Vorbeigehen ein halb vollen Krug zu.
    Siward bedankte sich und reichte ihn Imogen. Sie nahm einen kräftigen Schluck, um ihre staubige Kehle zu benetzen; dass bereits jemand davon getrunken hatte, kümmerte sie nicht im Geringsten. Das Bier schmeckte gut. Ein weiterer Pluspunkt für Castle Cleeve. Sie gab den Krug an Siward zurück; er leerte ihn mit einem zufriedenen Brummen und wischte sich den Mund mit dem schmutzigen Ärmel ab.
    Imogen dachte, so sollte auch sie sich verhalten, und tat es ihm vorsichtig nach. Doch sie brachte es kaum fertig, mit dem Stoff ihre Lippen zu berühren; die Gerüche, die davon ausgingen, waren zu fremd. Sie schimpfte sich eine verwöhnte Göre. Was machten schon ein bisschen Schmutz und Unbehagen aus, wenn die Zukunft ihrer Untergebenen auf dem Spiel stand?
    Sie rappelte sich auf, stöhnte, als ihre schmerzenden Füße wieder ihr Gewicht tragen mussten, und griff rasch nach ihrem Stock. Durch die Ruhepause schien der Schmerz nicht geringer, sondern schlimmer geworden zu sein. Es war, als würden sich scharfkantige, heiße Kohlen in ihre Füße bohren; ihr ganzer Körper schrie auf.
    »Dann humple ich eben«, murmelte sie beim Versuch, sich senkrecht aufzurichten. »Sehen wir mal, was es hier zu lernen gibt.«
    Siward betrachtete ihre Füße und stieß vor Entsetzen einen halblauten Fluch aus. »Lady, Ihr dürft nicht …«
    »Wir sind hier, um Carrisford zu retten«, unterbrach sie ihn grimmig. »Meine Füße sind nicht so wichtig, und je eher ich es fertigbringe, FitzRoger um Hilfe zu bitten, desto eher kann ich diese Verkleidung ablegen.«
    Sie gingen dicht an der Mauer entlang um den bevölkerten Burghof herum, wo sie nicht so leicht von einem Streitross niedergetrampelt oder von einem diensteifrigen Knecht angerempelt wurden. Dennoch mussten sie immer wieder stehen bleiben, um den stetigen Strom zu den vor der Burgmauer errichteten Vorratsräumen nicht zu unterbrechen.
    Imogen begann, Mut zu fassen. Sie beobachtete, dass die Menschen trotz momentaner Hektik und Eile überwiegend in guter Stimmung waren. Es wurde zwar immer wieder geflucht und geschrien, aber auch gescherzt und gelacht. Dann fiel ihr eine leichte Veränderung der Geräuschkulisse auf, und als sie zu dem Schandpfahl hinüberblickte, war er leer. Von den Bestraften und ihrem Peiniger war Gott sei Dank nichts mehr zu sehen.
    Plötzlich stieg ihr ein wunderbarer Duft in die Nase. Frisch gebackenes Brot! Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie seit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts zu sich genommen hatte außer Wasser und dem Schluck Ale vorhin. Kein Wunder, dass sie sich in jeder Hinsicht schwach fühlte.
    »Können wir fragen, ob wir einen Bissen bekommen?«, flüsterte sie Siward zu und konnte es kaum glauben, dass sie im Moment schon für eine bloße Kruste mehr als dankbar gewesen wäre.
    »Fragen tut niemandem weh«, meinte er und trat vor die Tür des Backhauses. Imogen blickte an ihm vorbei ins Innere und sah den Bäcker und seine Gehilfen; sie waren bei
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