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Flöte und Schwert

Flöte und Schwert

Titel: Flöte und Schwert
Autoren: Christoph Lode
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Tentakel würden ihn zerfetzen, bevor er sein verbliebenes Schwert in das riesige Auge stoßen konnte.
    Mit zusammengekniffenen Augen blickte er den Schacht empor. Er hatte einen Einfall, der an Wahnsinn grenzte. Doch es war seine einzige Chance, lebend aus diesem Labyrinth herauszukommen.
    Er konnte den Seelenkristall nicht sehen. Möglicherweise wurde er nicht in der Kammer mit den Kohlebecken aufbewahrt, sondern ganz woanders. Aber das spielte keine Rolle – solange er die Präsenz der eingekerkerten Wesenheit spüren konnte, konnte er sie nutzen.
    Vor einigen Jahren hatte er in Kaman-Share einem Zauberer gedient. Es waren unschöne Monate gewesen, die böse geendet hatten, doch zuvor hatte Dunaris einiges von seinem Meister gelernt. Beispielsweise, wie man sich die Kraft eines Seelenkristalls zu eigen machte, um die Grenzen des sterblichen Körpers wenigstens zeitweise aufzuheben. Man borgte sich gewissermaßen die Macht der gefangenen Entität und gewann für einige Stunden übermenschliche Kräfte und Lebensenergie. Hierfür musste man ein Blutritual durchführen, eine magische Zeremonie, die recht simpel war, dafür umso gefährlicher.
    Abermals rumpelten Steine in die Halle. Dicht unter der Tunneldecke hatte das Ch'rii bereits eine Öffnung geschaffen, und zwei Tentakel tasteten hindurch. Der Schnabel klickte gierig.
    Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
    Dunaris legte die Fackel zu Boden und zog sein Schwert. Er schnitt sich in die linke Handfläche und ließ etwas Blut zu Boden tropfen. Er tauchte Zeige- und Mittelfinger hinein und zeichnete Runen auf den Boden, uralte Symbole voller magischer Macht.
    Schutt rutschte, Staub wallte auf. Zischend vergrößerte das Ch'rii die Öffnung und begann, sich hindurchzuzwängen.
    Dunaris ballte die Linke zur Faust, schloss die Augen und richtete all seine Gedanken auf die machtvolle Präsenz der Wesenheit. Er unterdrückte seine Furcht, ließ nicht zu, dass ihn etwas ablenkte. Konzentriert sandte er seinen Geist zum Seelenkristall hinauf.
    Komm zu mir
, rief er die gefangene Entität an.
    Im selben Moment spürte er, wie seine Gedanken einen fremden Willen berührten. Einen überaus machtvollen Geist, der so fremdartig war, dass Ekel und Entsetzen jede Faser seines Körpers ausfüllten. Doch er durfte nicht zurückweichen, obwohl die Seele der Wesenheit glühte wie ein uralter Stern, dessen Licht jeden verbrannte, der so töricht war, hineinzublicken. Er musste versuchen, die fremde Kraft zu bändigen.
    Seine Beschwörung war erfolgreich. Lebensenergie strömte in seinen Geist, seinen Körper, sein Blut, seine Muskeln und Knochen, vertrieb die Furcht, erfüllte ihn mit unbändiger Leidenschaft. Es gab nichts mehr, das ihn aufhalten, ihn bezwingen konnte. Selbst das Ch'rii war seiner neuen Kraft nicht gewachsen. Er würde es zertreten wie eine Küchenschabe.
    Der Energiestrom wurde immer stärker, und er begriff, dass sein unzureichender menschlicher Leib nicht mehr davon aufnehmen konnte, ohne Schaden zu nehmen. Er versuchte, die Verbindung zur Wesenheit in dem Seelenkristall zu trennen, aber es gelang ihm nicht. Die Entität erhielt sie gegen seinen Willen aufrecht und sandte immer neue Energie durch den psychischen Kanal.
    Da begriff Dunaris, dass er einen Fehler begangen hatte. Das Wesen nutzte die Tür, die er aufgestoßen hatte, um nach Jahrtausenden der Gefangenschaft seinem Kerker zu entkommen. Gewiss gab es eine Rune, eine Beschwörungsformel, mit der er genau das hätte verhindern können, doch er kannte sie nicht. Er war schließlich nur ein Dieb, kein Zauberer.
    Das Wesen drang in seinen Körper ein, und er brüllte vor Schmerz, als die fremde Lebensenergie seinen Leib von innen heraus zu verbrennen schien. Er ließ das Schwert fallen und sank auf Hände und Knie, während er dagegen ankämpfte, dass die Entität seinen Verstand vernichtete und die Kontrolle über seinen Leib an sich riss. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft gelang es ihm, den Eindringling in einen Winkel seines Geistes zurückzudrängen. Die Lebensenergie jedoch erfüllte weiterhin seine Knochen und sein Fleisch, und die Schmerzen waren unerträglich.
    Dunaris hob den Kopf. Das Ch'rii war inzwischen in die Halle eingedrungen und beobachtete ihn vom Eingang aus, wo es wie eine monströse Spinne an Wand und Decke hing. Es schien zu spüren, dass er sich auf bedrohliche Weise veränderte.
    Er stand auf und ging auf das Ungeheuer zu. Tentakel umzuckten ihn, griffen nach seinen Armen, nach
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