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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition)
Autoren: Angelika Overath
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Unwahrscheinliches hat. Durch die Scheiben sah sie eine Frau in mittleren Jahren den Fährensteg hinunterlaufen. Ihr Blumenrock schmiegte sich um die Oberschenkel. Eine Einheimische, dachte sie, man hat noch auf eine Einheimische gewartet. Gleich würde jene Bewegung beginnen, mit der ein schweres Schiff ablegt. Sie lehnte sich in den Sessel zurück.
    Silvia ist schon groß, dachte sie, sie wird in Harlingen übernachten. Morgen früh holen wir sie an der Fähre ab. Der Junge hockte mit zurückgelegtem Kopf vor dem Fernseher, der über der mittleren Sitzreihe hing, und starrte auf die gebogenen Silhouetten von Eisschnelläufern in hoher Geschwindigkeit.
    Willst du nicht sehen, wie wir losfahren? rief sie ihm vom Fenster aus zu. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund.
    Die Sonne war noch gelb, das Meer von intensiver metallener Blässe. Da blitzte etwas Rotes auf dem Steg.
    Silvia zog den Rollkoffer auf das Schiff.
    Sie trug einen kurzen Trenchcoat, ihre Beine steckten in schwarzen Strumpfhosen.
    Wo ist mein Kleiner? fragte sie.
    Der Junge grinste.
    Sie drückte ihm einen Marzipanfisch in die Hand.
    Das hast du nicht mehr schaffen können, sagte ich.
    Die Tochter lächelte und zog die Schirmmütze ab.
    Ich habe eine Holländerin im Schienenbus gefragt. Sie hat mich zum Fahrkartenschalter mitgenommen. Die Frau an der Kasse hat im Schiff angerufen, daß wir noch kommen.
    Die Fähre hatte abgelegt. Sie fuhren in einen rötlichen Abend, in eine indigofarbene schaumige Nacht; die unsichtbaren Fahrrinnen des Wattenmeers waren von grünen und gelben Bojen erhellt.
    Was sie sehr schnell begriffen, war, daß ihr Hotel in der Dorfstraße entgegen der Ankündigung auf der Website weder über ein Schwimmbad noch über eine Sauna verfügte. Der blonde Mann an der Rezeption nannte freundlich mit einer nach draußen weisenden Handbewegung ein anderes Hotel, in dem sie Schwimmbad und Sauna mitbenützen könnten. Etwas langsamer begriffen sie, daß dieses andere Hotel anderthalb Kilometer entfernt am Strand lag, eine großzügige Betonanlage, die sich durch die Dünen zog. Dort im Keller endlich, wo hinter Glas eine junge rosige Familie mit zwei quirligen Kleinkindern in einem Pool stand, dauerte es Sekunden der Ewigkeit, bis ihnen klar wurde, daß genau diese Badewanne hier das Schwimmbad sein sollte.
    Silvia ließ sich in einen Plastikstuhl fallen. Der Junge war zielstrebig in einem Aufenthaltsraum für Kinder verschwunden, in dem dicht an dicht Flipperautomaten fiepten.
    Ich wollte schwimmen, ich wollte trainieren, sagte die Tochter und starrte gegen das Glas der Planschhalle.
    Wir müssen das Modul wechseln, hauchte ich.
    Der Junge kam und fragte freudig nach 50 Cent-Münzen.
    Der Strand war weit, bei Ebbe bildeten sich spiegelnde Siele. Kleine Vögel rollten wie Bälle davon, andere standen auf langen Beinen ruhig am Rand der Schaumzungen. Muschelsäume blieben zurück. Sie liefen. Der Junge steckte sich die Taschen voller Krebsschalen. Sprang über das leckende Meer. Schrie, wenn das Wasser schneller war als er und seine Schuhe naß wurden. Sie bauten Burgen. Sie lagen mit dem Rücken im Sand und fielen in die Wolken.
    Sie waren angekommen und in ungeahnter Weise fremd.
    Sie hatte es nicht wahrnehmen wollen.
    Etwas Unbekanntes hatte sich eingeschlichen. Die Tochter hatte es gleich am ersten Morgen gesagt, und die Reporter-Mutter hatte abgewehrt. Aber es war da. Es sickerte in die Tage, es machte, daß sie die Schultern leicht anzogen. Schließlich sprachen sie doch darüber, vorsichtig, daß der Junge es nicht bemerkte. Aber dann kickte er versonnen seinen Fußball über den gepflasterten Weg zum Strand und sang: »Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein werden wir Weltmeister sein«, und Silvia fuhr herum und zischte: »Halt die Schnauze!«
    Sie erinnerten sich wechselseitig daran, Englisch zu sprechen, wenn sie Einheimische etwas fragen wollten.
    Unweit der Betonanlage stand ein großer Holzpavillon auf Stelzen zwischen Dünen und Meer. Sie mochten das Licht in diesem weiten Raum. Zum Wasser hin war er verglast, und das Flackern der Petroleumlampen spiegelte sich schon am späten Nachmittag in den Fensterscheiben.
    Die Frau saß am Ende des Raums.
    Ihre offenen Locken glühten zimtrot. Ein Säugling lag an ihrer Brust. Sie sprach mit einer Freundin, die ihr gegenübersaß. Dann wieder schwiegen beide Frauen vertraulich. Ein Hund lag ihnen zu Füßen.
    Der Kleine steuerte den Nebentisch an.
    Junge Hunde haben
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