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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition)
Autoren: Angelika Overath
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geworfen und war davongerannt.
    Zu Hause in der offenen Badezimmertür stand die Mutter, über eine Plastikschüssel geneigt, und drehte tropfende Putzlappen. Sie sah aus wie eine alte Frau. Natürlich gebe es Gott, antwortete die Mutter, richtete sich auf und wischte mit ihren kleinen Händen über das bunte Würfelmuster der Kittelschürze. Die Tochter aber brauchte die Antwort nicht mehr.

Handtaschen
    Später habe ich es wieder in Budapest gesehen, in der Straßenbahn. Dort war es wie früher. Früher hatten die Straßenbahnen in unserer Stadt noch lange, hell lackierte Holzbänke. Früher, das war so lange nach dem Krieg, daß die Menschen schon wieder etwas waren. Da saßen die Frauen und hielten mit beiden Händen ihre Handtaschen auf ihren geschlossenen Knien fest. Es war, als drückten sie ein Siegel auf ihren Schoß, als schützten sie ihr Geschlecht. Oder es war, als ob all diese Frauen keine Genitalien hätten, dafür aber Handtaschen. Vielleicht aber waren die Genitalien der Frauen in ihre Handtaschen gerutscht. Jetzt saßen sie da und hielten sie fest wie etwas, das man sauer erspart hat und das einem deshalb nicht weggenommen werden durfte. Männer saßen nie so da. Auch Männer nicht, die die Handtaschen ihrer Frauen trugen.
    Damals, als der Krieg gerade so lange vorbei war, daß die Menschen wieder etwas sein konnten, damals gab es Männer, die die Handtaschen ihrer Frauen trugen. Am gebogenen Henkel. Nach dem Einsteigen in die Straßenbahn gaben sie sie ihren Frauen zurück.
    Handtaschen gehörten zum Sonntag; sie hatten etwas mit der katholischen Kirche zu tun wie der Schoß. Hoch über der Kanzel trug Maria einen himmelfarbenen Zeltmantel. Sie breitete den Mantel aus und umschloß die ganze Christenheit. Vermutlich war Maria die blaue Handtasche Gottes.
    An manches darf sich ein Kind nicht erinnern, weil ein Kind zu seinen Eltern gehört. Deshalb weiß es vor allem, was sich nicht gehört. Bei den Dominikanerinnen in der Klosterschule wurden wir angehalten, aus weißglänzendem Bastfaden ein Operntäschchen zu häkeln. Ich war damals ungefähr neun Jahre alt und noch nie in der Oper gewesen. Ein Verschlußbügel mußte eingenäht werden, mit dem die Tasche durch einen Fingerdruck zu öffnen war. Ich fand dieses sogenannte Operntäschchen häßlich und habe es, als ich später ins Theater oder in die Oper ging, nie benutzt. Meine Mutter hat das weißglitzrige Häkelding manchmal genommen. Sie fand es reizend. Ich fand es in ihrer Hand besonders häßlich. Wenn überhaupt, habe ich damals gedacht, dann kann es ein Kind, höchstens noch eine junge Frau tragen.
    Dieses Operntäschchen faltete sich auf wie Schamlippen und der Schnappverschluß saß in der Mitte wie eine verrutschte Klitoris. Damals bei den Dominikanerinnen war mir die Bildlichkeit nicht so deutlich gewesen, aber ich erinnere mich genau an ein Gefühl von Peinlichkeit, weil wir solche weißbräutlichen Täschchen häkeln mußten und mit Seidenstoff ausfüttern, so handlich klein, daß gerade ein Opernglas hineinpaßte. Niemand von uns besaß ein Opernglas.
    Seit langer Zeit bin ich selbst Mutter. Meine große Tochter hat die Biographie von Marlene Dietrich, geschrieben von deren Tochter Maria Riva, wiederholt gelesen; das dicke 800seitige Taschenbuch ist ganz zerfleddert. Meine Tochter erzählt mir daraus folgende Geschichte:
    Marlene Dietrich wollte den Abschluß der Dreharbeiten zu »Die scharlachrote Kaiserin« feiern, und da der Film in Rußland spielte, beschloß man, russisch essen zu gehen. Mit von der Partie waren neben der Schauspielerin und ihrem Mann, den sie seit der Geburt ihrer Tochter »Papa« nannte, auch Tami, das Kindermädchen, die zugleich die Geliebte des Mannes war, und Tochter Maria und der bunte Foxterrier. Die extravagant gekleidete Gruppe fiel im Restaurant sofort auf. Borschtsch wurde bestellt und serviert. Bald bemerkte die Tochter den nervösen Blick ihres Vaters. Zunächst meinte sie noch, er richte sich auf ihre Limonade, die immer ganz frisch sein mußte. Die Limonade war aber in Ordnung. Schließlich zischte der Vater: Wo ist das Schwarzbrot? Er hielt unbedingt darauf, weltläufig genug zu sein, um zu wissen, daß zu Borschtsch Schwarzbrot gehört. Der Oberkellner eilte herbei, entschuldigte sich und erzählte aufgeregt, die Frau des Bäckers sei bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben. Sie sei so jung gewesen, so schön. Er konnte nun nicht aufhören, blumig und voll Trauer von dem schrecklichen
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