Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst
Autoren: Joy Fielding
Vom Netzwerk:
wär’s mit dem immer klassischen Sound von Nirvana?«
    Es war das Radio. »Du lieber Himmel«, murmelte Bonnie. Sie hatte ihre Zeit damit vertan, diskret zu hüsteln, damit irgendein unhöflicher Rundfunkmoderator ungestört einen gutgläubigen Anrufer beleidigen konnte. Wer ist hier eigentlich die Verrückte, fragte sie sich und versuchte nun endgültig die Geduld verlierend, die plötzliche Attacke von Nirvana zu übertönen. »Joan!« rief sie und trat in die gelb-weiße Küche.
    Joan saß an dem langen Fichtenholztisch. Ihre großen dunklen Augen waren vom Alkohol verschleiert, ihr Mund war wie zum Sprechen leicht geöffnet.
    Aber sie sprach nicht. Und sie rührte sich nicht. Nicht einmal, als Bonnie zu ihr trat und eine Hand vor ihrem Gesicht bewegte; nicht einmal, als Bonnie sie bei der Schulter nahm und schüttelte.
    »Joan, Herrgott noch mal...«
    Sie konnte später nicht sagen, wann genau sie erkannte, daß Joan tot war. Vielleicht, als sie den hellen roten Fleck bemerkte, der auf Joans weißer Seidenbluse wie eine abstrakte Malerei wirkte. Vielleicht, als sie das klaffende dunkle Loch zwischen ihren Brüsten sah und an ihren eigenen Händen das Blut fühlte, das warm und klebrig war wie Sirup. Vielleicht aber auch erst durch die schreckliche Mischung von Gerüchen, ob nun real oder eingebildet, die ihr plötzlich in die Nase stiegen. Oder waren es die Schreie, die aus ihrem Mund quollen und sich in gespenstischer Harmonie mit den Klängen von Nirvana vereinten?
    Oder vielleicht die Schreie der Frau, die wie zu Stein erstarrt an der Wand neben der Küchentür stand und ihre Einkaufstüten umklammerte, als würde sie nur dadurch aufrecht gehalten.
    Bonnie ging zu ihr. Die Frau wich in panischer Angst zurück, als Bonnie ihr die Einkaufstüten aus den Armen nahm. »Tun Sie mir nichts«, flehte sie mit jammernder Stimme. »Bitte, tun Sie mir nichts.«
    »Niemand tut Ihnen etwas«, versicherte Bonnie ihr ruhig, stellte die Tüten auf die Arbeitsplatte und legte der zitternden Frau den Arm um die Schultern. Den freien Arm streckte sie zum Wandtelefon aus und tippte rasch die Nummer des Notrufs. Mit klarer Stimme nannte sie die Adresse und erklärte, daß im Haus eine Frau erschossen worden sei. Dann führte sie die zitternde Eigentümerin des Hauses ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf das beigefarbene Leinensofa. Sie legte ihren Kopf auf ihre Knie, um nicht ohnmächtig zu werden, und wartete auf das Eintreffen der Polizei.

2
    Sie erschütterten das Haus wie ein heftiger Donnerschlag bei einem Gewitter – erschreckend, obwohl man ihn erwartet hat. Ihre Stimmen füllten den Vorraum; dann drückten sie wie ein Bienenschwarm ins Wohnzimmer. Die Frau neben ihr sprang vom Sofa auf, um sie zu begrüßen.
    »Gott sei Dank, daß Sie hier sind«, rief sie in hohem Lamento.
    »Haben Sie die Polizei gerufen?«
    Bonnie sah, wie die Frau mit anklagendem Finger auf sie deutete, sah, wie alle Augen sich auf sie richteten, während der Raum sich mit Menschen füllte. Widerstrebend zwang sie sich, ihnen in die Gesichter zu schauen, obwohl sie im ersten Moment nur Joan vor sich sehen konnte, ihr feuriges tizianrotes Haar, das in krausen Locken um das aschfahle Gesicht fiel, den großen, leicht geöffneten Mund, leuchtend orangerot bemalt, die dunklen Augen, milchig vom Tod.
    »Wer ist erschossen worden?« fragte jemand.
    Wieder hob die Frau den Arm, zeigte diesmal zur Küche. »Meine Immobilienmaklerin. Von Ellen Marx Immobilien.«
    Mehrere gesichtslose junge Männer in weißen Kitteln rannten durch den Korridor nach hinten. Zweifellos Sanitäter und Notarzt, dachte Bonnie, seltsam unberührt von allem, was um sie herum vorging. Diese plötzliche Distanziertheit gestattete ihr, alles, was jetzt geschah, detailgenau aufzunehmen. Mindestens sechs Personen befanden sich im Haus: die beiden Sanitäter; zwei uniformierte Polizeibeamte; eine Frau, deren Haltung sie als Polizeibeamtin kennzeichnete, die jedoch kaum dem Teenageralter entwachsen schien; und ein massiger Mann von etwa vierzig Jahren, mit unreiner Haut und einem Bauch, der ihm über den Gürtel hing. Er leitete offensichtlich das ganze Unternehmen und war den Sanitätern zur Küche gefolgt.
    »Sie ist tot«, verkündete er bei seiner Rückkehr. Er trug ein schwarz-weiß kariertes Sportsakko und eine einfarbige rote Krawatte. Von seinem Gürtel hing ein Paar Handschellen herab. »Der Gerichtsmediziner wird gleich hier sein.«
    Gerichtsmediziner, wiederholte Bonnie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher