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Fleisch

Fleisch

Titel: Fleisch
Autoren: Alex Kava
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unter ihren Füßen. Es fühlte sich an, als würde jemand oder etwas sie beobachten. Sie verfolgen. Griffin konnte es nicht sein. Sie sah das Licht der Taschenlampe immer noch oben an der Abbruchkante hin und her hüpfen. Er war nicht herabgekommen, versuchte weiterhin, sie von dort oben aus zu finden.
    Als Erstes hatte er nach ihr gerufen. Angebote, die schnell in bösartige Verhöhnungen umschlugen. Dann verfluchte er sie in lauten, abgehackten Ausbrüchen. Aber er kam den steilen Abhang nicht herunter. Sie war nicht so naiv, zu glauben, dass sie deswegen die Nase vorn hatte. Er kannte den Wald. Er würde ahnen, wohin sie sich bewegte, und eine Abkürzung wissen.
    Sie hatte die Schutzbrille hinten im SUV erkannt, die neben der Schaufel gelegen hatte: ein Infrarot-Nachtsichtgerät.
    Konnte er sie von dort oben sehen? War es so leicht, ihre Bewegungen zu verfolgen? Vielleicht wollte er nur den geeigneten Moment abpassen, um zuzuschlagen. Vielleicht wollte er erreichen, dass sie ihre Kraft verließ. Dann würde er sie noch leichter überwältigen können. Und so erwartete sie ihn jeden Moment. Meinte, ihn hinter Bäumen stehen zu sehen. War sich sicher, dass er ihre Schritte hören und sie einholen würde.
    Sie wollte sich verstecken, einen Ort finden, an dem sie sich eng zusammenrollen konnte. Wo sie sich unter Blättern und Zweigen vergraben konnte. Die Kiefernnadeln würden sie wärmen. Sie würde bis zum Morgen warten. Ihre Muskeln flehten sie an, genau das zu tun. Der Schmerz in ihrer Schulter tobte. Sie versuchte, ihn auszublenden.
    Atme. Lauf weiter. Lausche. Das wurde zu ihrem Mantra.
    Als sie die Lichtung erreichte, hielt sie an. Sie sah ein Gebäude, davor eine Platte aus Zement. Nichts rührte sich. Kein Licht. Sie zog sich in den Wald zurück, verbarg sich hinter einem Baum und starrte auf das Wellblech. Es war wie eine Sinnestäuschung. Sie fragte sich, ob sie es sich nur einbildete.
    Dann fiel es ihr wieder ein: Es gab hier eine Baumschule. Und die Außenstelle der Universität. Lucy hatte ihr ja davon erzählt. Was passierte da noch mal? Sie wusste es nicht mehr. Die Stromschläge hatten Teile ihres Gedächtnisses blockiert.
    War dies eine Falle? Erwartete er, dass sie das Gebäude erreichen würde? Hatte er sich deswegen nicht beeilt, ihr nachzukommen? War hier noch jemand? Nein. Er hätte nicht so laut herumgeschrien, wenn er davon ausging, dass jemand in der Nähe sein könnte.
    Sie versuchte nachzudenken. Versuchte sich zu konzentrieren. Er hatte etwas von dieser Einrichtung gesagt. Dass er wollte, dass die Jugendlichen sich davon fernhielten. Weshalb? Es fiel ihr nicht ein. Egal. Er stand irgendwie in Verbindung mit diesem Ort. Er wusste vermutlich, dass sie darüber stolpern würde. Dass sie versucht wäre, sich darin zu verstecken.
    Wahrscheinlich verließ er sich genau darauf.
    Und dennoch: Sie musste annehmen, dass es dort drinnen etwas geben würde, womit sie ihre Fesseln aufbekommen würde – ein Werkzeug, eine Waffe. Wärme . Wenn auch nur für ein paar Minuten.

66. KAPITEL
    Washington, D. C.
    Julia hasste Krankenhäuser. Sie sagte Rachel, sie würde vor dem Untersuchungszimmer auf sie warten, aber in dem überfüllten Notaufnahmebereich fühlte sie sich noch unwohler und beklommener. Ihre Mutter war in einer Notaufnahme gestorben. Das war beinahe zwanzig Jahre her, und dennoch sahen sie immer noch genauso aus – chaotisch und Furcht einflößend –, wie es auf sie als zehnjähriges Mädchen gewirkt hatte. Sie versuchte, ihre Umgebung stattdessen mit den Augen einer Mordermittlerin zu betrachten.
    Ihr gegenüber hielt sich eine Frau ihren blutenden Arm. Stichwunde. Zwischen den Stellen mit dem dünnen, befleckten Verband konnte Julia den Schnitt im Fleisch erkennen. Vermutlich ein Küchenmesser mit gezackter Klinge. Sie musste nur einen Blick auf den rotgesichtigen Mann werfen, der sie begleitete, um davon auszugehen, dass es ein Fall von ehelicher Gewalt war, der schließlich in einem Kompromiss geendet hatte: Ich vergebe dir, wenn du mich in die Notaufnahme bringst. Es würde nie aktenkundig werden. Der erschöpfte Assistenzarzt würde eine Salve von Fragen abfeuern, dann aber aufgeben und einfach den „Unfall“ notieren, der der Frau angeblich passiert war.
    Julia wandte ihre Aufmerksamkeit den nächsten Patienten zu, als sie sah, dass Rachel auf den Flur trat. Mit wilden, hektisch umherirrenden Augen suchte sie nach Julia.
    Julia brauchte ein oder zwei Sekunden, bis sie
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