Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
musste laut auflachen.
    Warum zum Teufel war ich überhaupt zu Harnsbergers Party gegangen? Warum war ich nicht verschwunden, als klar wurde, welche Richtung der Abend nehmen würde?
    Weil etwas in mir, wie in den meisten Männern, sich nach frischem erotischem Bildmaterial sehnte.
    Robin hatte auf mich gewartet, aber an diesem Abend war ich alles andere als gute Gesellschaft.
    Ich schlief grauenhaft, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, fragte ich mich, was ich wegen dieser Begegnung unternehmen sollte.
    Um acht Uhr rief ich meinen Telefonservice an und erfuhr, dass Lauren um Mitternacht angerufen und um einen Termin gebeten hatte.
    »Sie klang, als wäre es dringend«, sagte die Vermittlung. »Ich wusste, dass dieser Termin um vierzehn Uhr abgesagt worden war, also hab ich ihr den gegeben. Ich hoffe, das war okay, Dr. Delaware.«
    »Natürlich«, sagte ich mit einem Kloß im Hals. »Danke.«
    »Stets zu Diensten, Doktor.«
     
    Um Punkt vierzehn Uhr klingelte es am Nebeneingang, und mein Herz machte einen Satz.
    Patienten, die zum ersten Mal zu mir nach Hause kommen, warten für gewöhnlich am Tor. Die Türglocke bedeutete, dass Lauren das Tor geöffnet und den Weg über die Zufahrt und durch den Garten gefunden hatte. Kein warnendes Hundegebell; Robin war bei Tagesanbruch nach Carpinteria gefahren, um Holz zu kaufen, und hatte Spike mitgenommen.
    Ich stellte den Kaffee ab, den ich nicht angerührt hatte, eilte durch das Haus und öffnete die Tür.
    Ein neues Gesicht erwartete mich davor.
    Frisch, geschrubbt, ausdruckslos, gestutztes weißblondes Haar ohne Gel; nach vorn gebürstet fiel es in einem sanften Cäsarenschnitt.
    Nicht das geringste Make-up. Dieselben blauen Augen - härter, gezügelt. Ein unberührtes Gesicht, mit Ausnahme der Augen.
    Mit einundzwanzig sah Lauren jünger aus als mit fünfzehn.
    Ein gebleichtes Jeanshemd und eine Stretchjeans bedeckten sie vom Hals bis zu den Knöcheln. Das Hemd war bis oben hin zugeknöpft und mit einer Türkisspange versehen. Die Jeans schmeichelte ihrer Figur, betonte die knappe Taille und den sanften Hüftschwung. An den Füßen trug sie weiße flache Leinenschuhe mit geflochtenen Sohlen. Eine große Kalbsledertasche hing über ihrer Schulter - in einem satten, polierten rötlichen Ton mit goldenem Verschluss, auffallend teuer.
    »Hallo, Lauren.«
    Sie schaute an mir vorbei und hielt mir die Hand hin. Ihre Handfläche war kalt und trocken. Mir war nicht nach Lächeln zumute, aber als sie mich schließlich ansah, brachte ich es fertig.
    Sie lächelte nicht. »Sie arbeiten jetzt zu Hause. Hübsch haben Sie es hier.«
    »Danke. Kommen Sie rein.«
    Ich ging auf dem Weg in mein Büro unmittelbar vor ihr her.
    Sie bewegte sich schnell - hatte es offenbar so eilig, hineinzukommen, wie sie damals hinauswollte.
    »Sehr nett«, sagte sie, als wir ankamen. »Behandeln Sie immer noch Kinder und Teenager?«
    »Ich arbeite kaum noch als Therapeut.«
    Sie blieb an der Tür stehen. »Das hat mir Ihr Telefonservice nicht gesagt.«
    »Ich praktiziere noch, aber fast nur noch als Berater«, erklärte ich. »Gutachten fürs Gericht, etwas Polizeiarbeit. Für ehemalige Patienten bin ich immer zu sprechen.«
    »Polizeiarbeit«, sagte sie. »Ja. Ich habe Ihren Namen in der Zeitung gesehen. Diese Schießerei auf dem Schulhof. Jetzt sind Sie also ein Held.«
    Sie sah immer noch an mir vorbei. Durch mich hindurch.
    »Kommen Sie rein«, sagte ich.
    »Das ist dieselbe«, sagte sie mit Blick auf die alte Ledercouch.
    »Ein antikes Stück, gewissermaßen«, sagte ich.
    »Sie, nicht ich könnte nicht sagen, dass Sie sich verändert hätten.«
    Ich ging hinter den Schreibtisch.
    »Ich habe mich verändert«, sagte sie.
    »Sie sind erwachsen geworden«, sagte ich.
    »Bin ich das?« Sie setzte sich steif hin, griff nach der Kalbsledertasche, hielt mitten in der Bewegung inne, lächelte einen Moment lang. »Rauchen immer noch verboten?«
    »Tut mir Leid, ja.«
    »Üble Angewohnheit«, sagte sie. »Von Mom geerbt. Sie hat vor ein paar Jahren einen großen Schreck bekommen - ein Fleck auf ihrem Röntgenbild, der sich aber als Schatten entpuppte - ein blöder Arzt. Also hat sie endlich damit aufgehört. Man sollte doch annehmen, dass ich eine Lehre daraus gezogen hätte. Die Menschen sind schwach. Das wissen Sie. Damit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt.«
    »Die Menschen sind fehlbar«, sagte ich.
    Eines ihrer Beine begann zu wippen. »Als ich damals zu Ihnen gekommen bin, hab ich's Ihnen richtig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher