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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein
Autoren: Bernd Ruland
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Wochen vergangen, seit Vater die Reise machte.“
    „Ja, Mama ..
    Vier Wochen.
    Balduins Reise hat sich gelohnt. Wie launisch doch das Reich der Zufälle ist! Da setzt sich Papa eines Tages auf die Bahn, um einen alten Studienfreund zu besuchen, und da... Emma kann es noch immer nicht ganz fassen.
    Tick-tack, tick-tack, tick-tack...

    ☆

    Gupp wälzt Lexika. Heute ein griechisches. Morgen ein lateinisches. Er übersetzt eifrig Herodot und Tacitus. Gupp arbeitet. Er muß es schaffen. Donnerwetter, es muß klappen!
    In Gupps Bude dräut dicker Tabakrauch. Tacitus mit Dampf. Herodot mit Pfeifenkraft. Gupp hat den Rock ausgezogen, den Kragen abgelegt, die Hemdärmel hochgekrempelt. Gupp arbeitet nicht, er büffelt. Es macht ihm sogar Spaß. Herodot ist doch ein ganz liebenswürdiger Mann. Augenblicklich macht er Gupp keine Schwierigkeiten.
    Aber etwas anderes bereitet ihm Kopfzerbrechen. Irgend etwas brennt ihm auf der Seele. Neben ihm liegt ein unvollendeter Brief. Gupp nimmt ihn noch einmal in die Hand. Verzeihen Sie die Unterbrechung, Herr Herodot. Einen Augenblick, bitte. Gupp überfliegt den Brief, kaut an seinem Pfeifenstiel, zerreißt den Brief, wirft die Fetzen in den Papierkorb, nimmt einen neuen Bogen, zückt seinen Füllfederhalter, schreibt.
    „Lieber Vater!“
    Briefe an den Vater sprechen meist von Geld. Aber Gupp braucht kein Geld. Sein Vater würde es ihm auch nicht schicken können.
    „Lieber Vater!
    Du wirst sehr überrascht sein, einen Brief von mir zu bekommen. Gerne schreibe ich Dir heute nicht, aber ich muß es. Ich weiß, daß Du...“ Gupp hebt seinen Kopf hoch und grübelt. Wenn Gupp überlegt, gibt es ganz dicke Wolken. Aus der Pfeife.
    Wozu schon jetzt den Alten Herrn unterrichten? Es hat noch Zeit — oder nicht? Weshalb soll ich jetzt schon über etwas berichten, was noch im Werden ist? Eigentlich Unsinn. Wirklich: Unsinn. Wir wollen doch zuerst einmal abwarten. Wir wollen sehen, wie sich alles ereignet. Vielleicht...
    Es gibt jetzt noch dickere Wolken. Aus der Pfeife. Ach, Quatsch... Gupp zerreißt den Brief wieder. Steckt den Federhalter ein.
    Bitte nochmals um Verzeihung wegen des Aufenthaltes, Herr Herodot. So, da bin ich wieder.
    Die Wolken werden immer dicker.

    ☆

    Krischan liebt es nicht, lange Fisimatenten zu machen. Was er sich vornimmt, das erledigt er ganz ohne Umschweife. Da ist das Ziel, das muß ich erreichen. Also los. Das Ziel aber liegt noch weit. Das Ziel liegt hinter Hois Haustür. In Hois Arbeitszimmer. Weiß der Teufel, wo es genau liegt.
    Das Fräulein Haustochter muß sehr vorsichtig behandelt werden. Es hat ein sehr liebebedürftiges Herz — das ist ein Glück. Das Herz hat tüchtig geklopft, als Krischan das Fräulein Haustochter vor ein paar Tagen mir nichts, dir nichts auf der Straße angesprochen hat.
    Eine Tasse Kaffee ist unverbindlich. Fräulein Haustochter trinkt doch gerne Kaffee, wie? Da ist eigentlich nicht lange zu überlegen...
    Zehn Minuten später sitzt Krischan mit seinem „Opfer“ in einem kleinen Café. Ein Stück Kuchen gefällig, mein Fräulein? Mit Vergnügen.
    Sie sprechen über Rheinstadt, über die Schule, über Filme. Ja, „Die drei von der Tankstelle“ hat die junge Dame schon gesehen.
    Noch einmal zwei Tassen Kaffee. Krischan wird die Spesen von der ganzen Klasse liquidieren müssen... Aber nein, bei Krischan trifft es keinen Unbemittelten. Krischan kann großzügig bezahlen.
    Am nächsten Tage könnte man sich doch eigentlich Wiedersehen? Wb man sich doch so gut unterhalten hat! So, jeden Tag zwei Stunden Ausgang hat das Fräulein Haustochter? Da könnte man also...
    Am nächsten Tag trinken sie wieder zusammen Kaffee. Krischan weiß so schön zu erzählen. Ein netter junger Mann, wirklich. Das Fräulein Haustochter freut sich schon auf das nächste Wiedersehen.
    Alle Achtung, der Krischan versteht seine Sache. Es wird auch höchste Zeit. In acht Tagen ist die lateinische Prüfungsarbeit fällig. Krischan muß sich sputen, wenn er bis dahin in Hois Arbeitszimmer gewesen sein will.
    Wer sagt übrigens, daß er überhaupt die Arbeit findet? Woher weiß er denn, daß Hoi wirklich die lateinische Prüfungsaufgabe in seinem Studierzimmer aufbewahrt?
    Soll er das Fräulein Haustochter in seinen Plan einweihen? Lieber noch etwas warten. Zwei oder drei Tage. Er könnte mal mit ihr ins Kino gehen. Hinten in die Loge. Im diskreten Dunkel läßt sich vieles sagen, was man sonst nur denken darf. Man wird sehen.
    Wie gesagt, Krischan liebt
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