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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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und sich daran auch nie etwas ändern wird. Das macht ihn wütend, sehr wütend sogar: Es war nichts, ist nichts und wird auch nichts mehr, jedenfalls nicht in diesem Leben. Er wird ungefickt sterben. Das alles weiß Harald, und es macht ihn rasend.

    Pastor Schmidt sitzt ganz vorn, direkt hinter dem Fahrer, Diakon Wolfram Steiß zwei Bänke vor mir, um alles im Blick zu behalten, vor allem die hinteren Reihen. Die meisten der älteren Jugendlichen duzen ihn, ich trau mich aber nicht und nenne ihn wie in der Konfirmandenzeit stoisch «Herr Steiß». Er ist was mit Mitte dreißig, verheiratet, hat zwei kleine Kinder und einen jesusmäßigen Vollbart. Pastor Schmidts Alter ist wegen des noch jesusmäßigeren Vollbarts schlecht zu schätzen, wahrscheinlich so fünfzig irgendwas. Er ist natürlich auch verheiratet und hat zwei mittlere Kinder. Vervollständigt wird das Führungstrio vom Gemeindehelfer Peter Edam, der im Gegensatz zu den beiden Vollbartträgern immer glatt rasiert ist, wahrscheinlich, weil er nur Gemeindehelfer ist. Er trägt den Spitznamen «der dumme Peter», weil er echt doof ist. Aber sehr freundlich und hilfsbereit und gut im Sport.

    Mein Sitznachbar kramt aus seinem Rucksack eine Tupperschüssel hervor. Als er sie öffnet, fängt es an zu stinken. Igitt, was ist das denn? Eine braun-rote Mischung aus Fleisch, Soße, Ei, Gemüse, Kartoffeln, Eiweiß, Brot, Schmant, Eigelb und Bindemittel, sog. Napffraß. Es riecht wirklich erbärmlich. Er schluckt das Nachkriegsessen einfach so weg, praktisch ohne zu kauen, vielleicht hat er einen Tiermagen mit extra viel Magensäure. Ich verstehe nicht, wie man darauf kommen kann, in nicht ausdrücklich dafür bereitgestellten Räumen zu essen. Viel zu privat. Mein Nachbar kennt solche Bedenken nicht, sondern produziert stattdessen unappetitliche Kaugeräusche, es ist eine Art feuchtes Mundhöhlengeschnalze. Wenn er abbeißt, klingt es zungig, während des Kauens nasal und beim Runterschlucken kehlig-halsig. Ich schaue ihn angeekelt an und frage ihn, wie er heißt. Nur so, aus Langeweile und um mal zu hören, wie seine Stimme klingt. Er schaut mich an, als müsse er erst überlegen. Dann:
    «Detlef.»
    Das darf ja wohl nicht wahr sein, Detlef heißen ja nun echt nur Schwule. Mir verschlägt es aber noch aus anderen Gründen die Sprache: Detlef hat sagenhaften Mundgeruch und riecht nochmal komplett anders aus dem Maul als der schauderhafte Napffraß, nach verdorbenem Ei und Kohlrabi und irgendwas, wofür der Name noch erfunden werden muss. Napffraß und Mundgeruch hüllen mich ein. Der kommt nicht ungeschoren davon, denke ich, das wird noch bitter für ihn, ganz bitter. Das Schlimme ist, dass er nicht merkt, was los ist. Erwartungsfroh blickt er mich an, aber ich kneife die Augen zusammen und gucke so ätzend, dass er sich noch nicht einmal traut, mich ebenfalls nach dem Namen zu fragen.
    Mein Arsch muss, dem Schmerz nach zu urteilen, wund gescheuert sein bis auf die Knochen. Ich schupper auf dem Sitz hin und her, um das Ausmaß der Entzündung zu erkunden. Überall und nirgends. Das ist ja ein schöner Start. Außerdem ist es wahnsinnig stickig, die Luft verbraucht, vorgeatmet und genitalwarzenfreundlich. Na ja, für 343 Mark kann man keinen vollklimatisierten Bus erwarten. Schmerz hin, Luft her, mir ist stinklangweilig. Was anderes außer Fünf Freunde und Landserheften hab ich nicht mit, und das kann ich echt nur heimlich lesen.
    Ich schaue mich um. Das Mädchen hinter mir liest Siddhartha . Unter christlichen Jugendlichen ist Hermann Hesse ziemlich angesagt. Der Steppenwolf. Narziß und Goldmund. Das Glasperlenspiel. Alles Scheiße.
    Beliebt ist auch Lektüre, die sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigt. Der «zivilisierte» in Tüddelchen Mensch unterliegt dem schweren Irrtum, Glück bestünde darin, so viel materielle Güter wie möglich anzuhäufen. Doch da irrt der weiße Mann. Die Menschheit muss endlich umschwenken, vom Programm «Haben» aufs Programm «Sein»! Laber laber. Aber dafür ist es wahrscheinlich eh zu spät, denn laut Angaben des Denkerzirkels «Club of Rome» wird die Menschheit spätestens bis zum 1.   1.   2000 untergegangen sein, weil sie bis dahin sich selbst und die Natur komplett ruiniert hat.
    Alle sind mit irgendwas beschäftigt, dann kann ich wohl doch ein Fünf-Freunde- Buch lesen: Fünf Freunde im Schlossverlies . Das Erfolgsgeheimnis von Enid Blytons Fünf-Freunde- Reihe ist die detailverliebte Beschreibung von Essen:
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