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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Autoren: Anke Greifeneder
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löschen zu müssen! Sie hat eine Tochter und ist allein erziehend, da braucht sie jemanden wie dich wie ’nen Pickel am Hintern! Außerdem kennst du unsere Abmachung! Du rührst keine engen Freundinnen von mir an, und ab heute gilt das auch für Nachbarinnen!«
    Rudi lachte.
    »Was du wieder denkst!«
    Von wegen denken – wissen!
    »Ich möchte einfach nur auf Nummer sicher gehen!«
    Mit Grauen dachte ich an meine Schulzeit zurück, in der sich ganze Jahrgangsstufen von Mädchen unter fadenscheinigen Vorwänden bei mir eingeladen hatten, um vor Rudis Zimmer zu lauern und kichernd wegzurennen, wenn er sich zeigte! Welche Dramen sich abgespielt hatten, als die Mädels alt genug waren und Rudi sich mit der ein oder anderen einließ. Das Schlimmste war, dass Rudi diese ganz spezielle Art hatte. Man konnte ihm einfach nicht böse sein und entschuldigte ihm jegliches Fehlverhalten.
    Als seine Kumpels jedoch plötzlich Interesse an mir zeigten, war der Spaß vorbei. Da nutzte auch die aufgeklärte Kinderstube nichts. Rudi ließ jeden Rottweiler wie ein Weichei aussehen, wenn es um die Ehre seiner kleinen Schwester ging.
    »Sag mal, willst du deine Wände nicht bunter gestalten? Das Weiß wirkt so trist!«, unterbrach meine Mutter meine Gedanken.
    Wenn es nach ihr ginge, müsste ich jedes Zimmer in Regenbogenfarben streichen und selbst gebastelte Objekte aufstellen. Die Anleitung dazu gab es inzwischen auf allen möglichen Privatsendern.
    Diese ganzen Do-it-yourself-Ratgebershows, die aus England herübergeschwappt waren, zeigten einem, wie man es mit einigen preiswerten Kniffen selbst mit Gelsenkirchener Barock zu einer Fotostrecke in Schöner Wohnen schaffen konnte! Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die so genannten »Designer« sich in Wohnungen Fremder mal so richtig austobten. Mit all den Ideen, von denen sie allzu gern wissen wollten, wie die wohl umgesetzt aussehen würden, wofür ihnen die eigenen Häuser als Versuchsobjekt jedoch stets zu schade waren.
    Losgelassen sauten sie deutsche Durchschnittswohnungen mit »krazzzy« selbst gemischten Farben ein, sägten absurde Objekte aus Styropor und überlegten sich einen üblen Stilbruch nach dem anderen. Mit weiteren »Experten«, von denen auch nie veröffentlicht wurde, welche Ausbildung sie befähigte, der armen Familie Hinrichs ernsthaft zu versichern, kackgelbe Holzvertäfelungen seien wieder schwer im Kommen, wurden abwegigste Designerfantasien umgesetzt. Bestätigt fühlte ich mich, als sich meine Vermutung in Form einer Homestory in der Elle Decoration verdichtete. Diesen Möchtegern Philippe Starcks mangelte es nicht, wie befürchtet, an Geschmack und Sachverstand, nein, die Fotostrecken ihrer eigenen Häuser und Wohnungen sahen genauso aus, wie Familie Hinrichs es sich eigentlich für ihr eigenes trautes Heim vorgestellt hatte, als sie sich für Tapeten runter bewarb. Nämlich geschmackvoll und ohne türkisfarbene Wände. »Puristisch« nannten die Designer ihren eigenen Wohnstil.
    »Wenn man beruflich den ganzen Tag mit Formen und Farben zu tun hat, braucht man einen Rückzugsort, wo das Auge entspannen und zur Ruhe kommen kann«, so der Kommentar einer Fernsehdesignerin laut Bildunterschrift. Ja, das würde Familie Hinrichs mit neuerdings drei verschiedenen Knallbonbonfarben – auf den Wänden – das ehemals weiß gestrichene Wohnzimmer war von den Experten als trist und langweilig eingestuft worden – auch gern haben: einen Rückzugsort für das Auge.
    »Atmen, hier kann ich nicht atmen!«, hatte Olivia, die Affektierteste und Grausamste des Dreiertrupps ausgerufen, während Familie Hinrichs schuldbewusst zu Boden geblickt hatte.
    Ich war fest überzeugt, dass der Sender eine zweite Reihe mit dem Titel Architektenhaftung, und wie Sie an Ihren Schadensersatz kommen plante und Familie Hinrichs gleich doppelt gecastet wurde. Ich würde auf alle Fälle bei meinem langweiligen Beamtenweiß bleiben, da konnte meine Mutter mir noch so viel von der Aura einer Farbe erzählen.
    »Hallo! Es hat geklingelt! Macht vielleicht mal jemand auf?«
    Mein Vater, der mühsam meinen Schrank zusammenbaute, war immer noch nicht besser gelaunt, was zum einen an der zwangsweise körperlichen Ertüchtigung lag, vor allem aber an seinen nassen Haaren. Ächzend stand ich auf und öffnete.
    »Leila! Das ist ja schön! Komm rein!«
    Leila, meine neue unerschrockene Freundin, trat ein.
    »Du hast ja Stuck und Dielen! Und Flügeltüren! Da sieht’s bei mir ein wenig anders aus.
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