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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Autoren: Anke Greifeneder
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ziehen und hinten anstellen! Doch Leila fing sich schneller, als ich dachte.
    »Willkommen in Berlin oder besser gesagt im Prenzlauer Berg! Hier gibt’s mehr Hundehaufen als Gehwege. Aber soll ja Glück bringen!«
    Ich war beeindruckt. Sie war weder hysterisch noch hektisch geworden und hatte auch nicht angefangen zu kichern.
    »Leila, das ist mein Bruder Rudi. Rudi, das ist Leila.«
    Falls Leila bei meinem Namen schon befremdet dreingeblickt hatte, so machte sie jetzt einen geradezu konsternierten Eindruck.
    »Jaaahaaa, du hast richtig gehört! Er heißt wirklich Rudi!«, hätte ich am liebsten gerufen. »Und die erfinderischen Namensgeber sind auch in Reichweite, also bitte sag ihnen doch, was du davon hältst!«
    Mein armer Bruder hatte bei der Namensgebung noch weniger Glück gehabt als ich, zumal er nicht, wie viele anfangs gern vermuteten, Rudi Völler seinen Namen zu verdanken hatte, sondern – wie hätte es auch anders sein können! – Studentenführer Rudi Dutschke. Ein ausreichender Grund, seine Eltern zu verklagen. Zum Glück war Rudi mit gutem Aussehen und Charme gesegnet, sodass bisher niemand auf die Idee gekommen war, sich über seinen Namen lustig zu machen. Das hätte aber auch böse ins Auge gehen können! Meine Eltern wussten bei der Namensgebung ja nicht, dass sich Rudi später einmal als Herzensbrecher entpuppen würde. Seit der Grundschule hatte ich die Angewohnheit, mir für alle Menschen immer neue lustige Spitznamen auszudenken, je zur Situation passend. Nur Rudi hatte ich nie einen gegeben, der sollte gefälligst schön mit mir leiden, wieso sollte es ihm besser ergehen als mir? Für solche Problemfälle gab es ja schließlich Geschwister.
    Leila war entweder telepathisch veranlagt oder einfach nur clever, denn sie sagte passenderweise: »Freut mich, Rudi! Nennen dich deine Freunde wirklich Rudi, oder hast du auch ’nen Spitznamen?«
    Mann, die war echt cool!
    Rudi lachte und fixierte amüsiert ihre Augen.
    »Nee, aber von dir lass ich mir gerne einen verpassen.«
    Leila kicherte und wurde rot, soweit ihr Teint das zuließ. Rudi hatte es wieder einmal geschafft.
    »Wieso steht ihr eigentlich alle hier im trockenen Treppenhaus und schwingt Reden, während ich im strömenden Regen Kisten schleppe?«
    Mein Vater ächzte die Treppe hoch, schwer bepackt und nicht besonders gut gelaunt. Er hasste jede Art von körperlicher Ertüchtigung – wozu hatte man schließlich seinen Intellekt! Zu Schulzeiten hatte ich von seiner Abneigung gegen profanen Schweiß profitiert: Mit Genugtuung hatte er mir jedes Mal eine Entschuldigung für den Sportunterricht geschrieben. Seine späte Rache am Schulsystem! Unsportlich wie er war, wurde er als pickeliger Teenager stets als Letzter in die Völkerballgruppe gewählt, und diese Wunde saß tief. Grinsend stellte ich Leila das letzte Mitglied meiner Familie vor.
    »Leila, das ist mein Vater. Was so stinkt, ist wahrscheinlich der Rest Hundehaufen an seinem Schuh.«
    Mein Vater, dem nie etwas peinlich war, schon gar nicht natürliche Hundeexkremente, hob die Hand zum lockeren Gruß.
    Leila, gut erzogen, begrüßte ihn höflich.
    »Guten Tag. Freut mich, Sie kennen zu lernen!«
    Au Backe! Sie hatte ihn gesiezt.
    Woher sollte sie auch wissen, dass mein Vater Siezen generell hasste? Für ihn war Siezen nicht nur ein Hinweis darauf, dass er nicht mehr jung war, nein, er betrachtete es auch als gesellschaftliches Zeichen der Unterdrückung und Abgrenzung.
    »Hi Leila, kannst mich Frank nennen. Die Zeiten, in denen junge Menschen gezwungen wurden, Alter, Geld und Einfluss durch ein affektiertes Siezen zu würdigen, sind ja zum Glück vorbei.«
    Super! Gerade hatte ich Freundschaft geschlossen, und schon toppte ich den komischen Typen, der vor mir hier gewohnt hatte. Wer sonst außer mir gab mit dreiunddreißig Jahren, wenn er gut verdiente, seinen Umzug nicht an eine Firma ab, sondern erledigte das mit seinen Eltern? Meine Idee war es nicht gewesen, meine Eltern wollten unbedingt mal wieder nach Berlin, in diese »verrückte, freie Stadt« …
    »Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?«, fragte Leila, als mein Vater außer Sichtweite war. Bestimmt erwartete sie einen neuen Brüller, einen Doppelnamen wie Klemm-Marsch oder Mundke-Ruch.
    »Mein Vater heißt Schneider, und Rudi und ich heißen Fingerhut, wie meine Mutter.«
    Leila sah mich verwundert an. Hatte sie noch nicht begriffen, dass bei meiner Familie einfach alles anders lief?
    »Und warum trägst du den
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