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Flammenzorn

Flammenzorn

Titel: Flammenzorn
Autoren: Laura Bickle
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schluckte trocken, als sie die Taschenlampe auf das Innere des Geräts richtete.
    Erst dachte sie, jemand hätte eine Puppe in die Maschine gestopft, zusammengerollt in einer embryonalen Haltung. Aber so viel Glück sollte sie in dieser Nacht nicht haben. Sie hörte ihr Blut in ihren Ohren rauschen. Nach näherem Hinsehen erkannte sie den ausgedörrten Leichnam eines Kindes, trocken wie die Samenhülse einer Seidenpflanze. Die zerschlissene Spitze am Saum des Kleidchens geriet durch Anyas Atem in Bewegung. Die schwarzen Zöpfe des Kindes wurden durch Plastikspangen gehalten. Lederschuhe, gerade so groß wie Anyas Hand, lagen zusammengerollt an der Wand des Automaten. Das Mädchen war zweifellos schon seit Jahrzehnten hier, verschollen und schließlich vergessen. Vielleicht war es ein Versteckspiel, das furchtbar schiefgegangen war. Vielleicht ein Mord. Sie konnte es nicht sagen.
    Anya wischte ihre Fingerabdrücke mit dem Ärmel von der Klappe und sah, wie ihr Arm zitterte. Sie wollte nicht, dass die Polizei erfuhr, dass sie hier gewesen war. Das würde zu viele Fragen aufwerfen. Aber die DAGR mussten die Polizei alarmieren. Und sie wären gut damit beraten, Anya zu decken und nicht zu verraten. Sie fragte sich, wie die alte Salzgurken-Dame, die sich schon fürchtete, ihre Wäsche im Keller zu waschen, auf diese schockierende Entdeckung reagieren würde - vorausgesetzt, sie hatte das Mädchen nicht selbst in den Getränkeautomaten gesteckt.
    Vage nahm sie das laute Hämmern an der Kellertür wahr. Schließlich gab die Tür nach, und Schritte donnerten die kaputten Stufen herab.
    »Passt auf, wo ihr hintretet!«, rief Anya, aber es war zu spät. Max rammte seinen Fuß in das Loch in der Stufe und fiel beinahe hindurch. Jules versuchte, ihn herauszuziehen, während er ihn gleichzeitig beschimpfte, weil er vorausgestürmt war.
    Anya starrte ihre Füße an. Sie roch nach eingelegten Gurken. Ihre Hände waren klebrig von der jahrzehntealten Limo, und in ihrem Haar hatten sich unzählige Glassplitter verfangen.
    Und jetzt noch ein totes Kind. Keine gute Nacht.
    Ihr starrer Blick wanderte hinauf zur Decke. Sie blinzelte und schwor sich, von nun an nicht mehr auf die Hilferufe der DAGR zu reagieren. Diese Hilferufe führten ständig zu unheimlichen Wahrheiten, und sie war es leid, diese Wahrheiten für sie auszugraben.

KAPITEL ZWEI
    »Ich habe Jules gesagt, er soll dich nicht anrufen«, sagte Brian. Er blickte durch die Windschutzscheibe des Vans auf die verlassene Straße. Er sah Anya nicht an, sondern starrte nur stur geradeaus. Obwohl sie protestiert und gesagt hatte, sie würde ein Taxi nehmen, hatte er darauf bestanden, sie heimzufahren.
    Anya musterte sein Profil. Es war ein hübsches Profil, eines, das ihr einmal vertrauter gewesen war: ein kräftiges Kinn, Adlernase, sinnliche Lippen. Das war, ehe Brian ihr zu nahe gekommen war. Und sie wollte nicht, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger an ihr verbrannte. Anya blieb auf ihrer Seite des Vans, ihre Hände umklammerten einen Styroporbecher mit heißer Schokolade.
    »Oh«, sagte sie.
    Brian schüttelte seinen Kopf. »So habe ich das nicht gemeint. Ich meinte ...« Er schnaubte, und die Scheibe beschlug durch seinen feuchten Atem. »Ich hatte einfach den Eindruck, du würdest gern Abstand halten. Von den DAGR. Von uns allen.«
    Anya starrte in ihren Becher. »Nun, ich habe im Moment nur ein bisschen Ärger auf der Arbeit.«
    »Diese Brandstiftungen?«
    »Ja.« Anya sank tiefer in ihren Sitz und rieb sich den Nasenrücken. In ihrem Tagesberuf war sie als Brandermittlerin für die Feuerwehr von Detroit tätig. »Der Chief sitzt uns im Nacken. Er will, dass wir die Fälle endlich lösen. Inzwischen sind wir schon bei Nummer drei.«
    »Bist du sicher, dass es jedes Mal derselbe Brandstifter war?«
    »Es muss derselbe sein. Das gleiche Vorgehen: keine Rückstände von Brandbeschleunigern. Wer immer es ist, er nimmt sich Zeit, um die Gebäude auszukundschaften. Er weiß, wann sie lange genug unbewacht sind, um sie niederzubrennen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand ernsthaft verletzt wird.«
    Anya starrte zum Fenster hinaus auf die Stadt, die noch unter der samtenen Decke der Nacht ruhte. Zu dieser frühen Stunde hatten die Busse gerade erst den Betrieb aufgenommen und krochen über die Busspuren wie Raupen, die sich an Blattadern entlangfraßen. In dem Automobilwerk an der Grenze zwischen Detroit und Hamtramck fand soeben
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