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Flammenpferd

Flammenpferd

Titel: Flammenpferd
Autoren: Susanne Kronenberg
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beugte sich vor, und Hella fühlte sich aus den lebhaften grünen Augen gutmütig gemustert.
    „Du fürchtest dich davor, mit dir und den Erinnerungen allein zu sein“, stellte die Freundin entschieden fest.
    Selbst diesen Satz konnte Hella nicht übel nehmen. „Willst du damit behaupten, ich vergrabe mich in der Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen?“
    Jette nickte, und die rote Lockenmähne geriet in Bewegung. „So kommt es mir vor.“
    Sie sah auf die Uhr. „Es ist gleich zwei. Ich muss los.“
    Beide schwiegen, während sie auf die Rechnung warteten. Vermutlich liegt Jette mit ihrem Verdacht sogar richtig, überlegte Hella. Sie hasste dieses Gefühl der Beklemmung, das sich sofort einstellte. Urlaub bedeutete Zeit haben, und Zeit haben hieß, den Gedanken freien Lauf lassen zu müssen. Und dann würden sie kommen, die Erinnerungen, die Zweifel und die Selbstvorwürfe, und würden sich in ihrem Kopf festsetzen so wie abends vor dem Einschlafen, wenn sie einmal nicht bis zum Umfallen gearbeitet hatte.
    Es schneite noch immer, als sie das Restaurant verließen. Die Schneeflocken fielen dicht und schwer, doch die Luft war mild. Der Schnee würde nicht lange liegen bleiben.
    Schweigend gingen sie ein Stück die Baustraße hinauf. Vor dem Schaufenster eines Friseurladens blieb Jette stehen. „Soll ich mir die Haare abschneiden lassen? Was meinst du?“
    Jettes dichte Locken waren ein Traum: sie fielen bis weit über die Schultern und glänzten feuerrot.
    „Verrate mir hinterher, welcher Friseur das verbrochen hat, damit ich ihn aus der Stadt jagen kann“, sagte Hella entrüstet. Ihre dunkelbraunen Haare reichten ihr in sanften Wellen bis unter das Kinn. Bei Regen oder feuchter Luft, so wie jetzt, kräuselten sich die Haarspitzen auf und umrahmten ihr Gesicht.
    „Ich werde nichts überstürzen“, versprach Jette und lächelte aufmunternd. „Flieg nach Portugal, Hella. Du wirst die Stille und die Landschaft genießen. Und stundenlang im Sattel sitzen. Stell dir nur vor, wie du auf einem schneeweißen Lusitano über leuchtende Blumenwiesen galoppierst!“
    Hella lachte und konterte: „Das klingt verlockend poetisch!“
    „Also ist es abgemacht. Ich rufe in Portugal an und teile mit, dass du kommst. Es wird dir dort gefallen, ich war nicht umsonst schon vier Mal auf dem Hof. Reiterlich sind die Klinghöfers zwar nicht unbedingt topp, aber sie haben gute Pferde und können traumhafte Ausritte organisieren. Um den Flug nach Faro werde ich mich auch kümmern. Himmel, ich bin spät dran.“
    Sie stürzte davon. Hella blieb einen Augenblick stehen und sah Jettes hoher schmaler Gestalt nach, bis sie nach einer Biegung der Baustraße außer Sicht war. So ganz war sie noch nicht überzeugt. Drei Stunden später, als sie ihre Stute Melody aus dem Paddock führte, um mit ihr in der Reithalle zu arbeiten, stellte sich jedoch eine kribblige Vorfreude ein, begleitet von der wachsenden Gewissheit, dass ihr ein paar Urlaubstage helfen könnten, die Gedanken zu ordnen.
     

3
    Der Reinckehof lag wenige Kilometer von der Altstadt entfernt am östlichen Ende der Stadt Hameln. Wenn der Nordostwind über den Deister strich und man aufmerksam lauschte, konnte man den Autoverkehr von der Bundesstraße nach Hannover hören und dazu das Rattern der Züge auf den parallel verlaufenden Bahngleisen. Im Sommer übertönte das Rauschen des Windes in den hohen Pappeln, die in einer langen Reihe das Ufer der Hamel säumten, die Geräusche der nahen Stadt. Die Hausweiden hinter dem Hof reichten bis in das Hameltal hinein, und die Sommerwiesen grenzten an das nördliche Ufer des schmalen und mäandernden Flüsschens, das zu den Regenzeiten in Frühjahr und Herbst ein beachtliches Hochwasser mitführen konnte. An diesem Freitagvormittag im späten Februar, als der Raureif die Sträucher und Baumkronen überzog und klirrender Frost die Ufer gefrieren ließ, verharrte das Tal in winterlicher Stille. Für Augenblicke erschien es ihr, als wäre sie niemals fort gewesen, als hätte es die Studienzeit in Hannover und die ehrgeizigen Jahre in Wiesbaden niemals gegeben. Doch die Wirklichkeit holte sie umgehend ein. Ihr neues Leben war kein romantischer Traum, sondern anstrengend und arbeitsreich. Trotzdem bereute sie ihren Entschluss nicht – meistens zumindest.
    Wenn die Zweifel kamen und sie sich einsam fühlte, lenkte sie sich mit den vielfältigen Aufgaben im Haus und auf dem Hof ab. Melody und die drei Hengstfohlen sowie die Pensionspferde
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