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Flammenpferd

Flammenpferd

Titel: Flammenpferd
Autoren: Susanne Kronenberg
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waren.
    Was dann geschah, ärgerte Hella zwar, aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass der hellblonde Mann in dem knallroten Jeep, der ihr hinter der Eisenbahnbrücke in viel zu hohem Tempo entgegen raste, in den folgenden Wochen eine entscheidende Rolle in ihrem Leben spielen würde? Der Fahrer gönnte Hella und der Stute keinen Blick, fuhr aber stur auf sie zu.
    „Angeber!“, dachte Hella erschrocken und konnte die Stute mit einem Schenkeldruck gerade noch auf den Fußweg lenken, bevor der Wagen an ihnen vorbei jagte. Der Jeep stammte nicht aus Hameln. Schwarze Buchstaben auf gelbem Nummernschild, mehr war so schnell nicht zu erkennen gewesen. Viel später wurde ihr klar, dass diese Begegnung der Vorbote für alles Kommende gewesen war.
    Nachdem sie Melody versorgt und zu ihrer Gruppe zurück gebracht hatte, ging sie zum Haus hinüber. Ein alter, aber glänzend polierter blauer Fiat parkte vor den flachen Treppenstufen, die zur Haustür hinauf führten. Ines Krüger hatte unterwegs eingekauft. Hella half dabei, die voll gepackten Körbe aus dem Kofferraum zu heben und in die Küche zu tragen, und musste sich anstrengen, um mit Ines Schritt zu halten. Alles was Ines tat, erledigte sie gezielt und zügig. Ihre Dynamik verdankte sie ausgedehnten Radtouren durch das Weserbergland und der Liebe zum Rallyefahren. Maren hatte den Kontakt vermittelt. Ihre Schwiegermutter kam zwei bis drei Mal in der Woche, kümmerte sich um das Haus und um die Wäsche und kochte für die anderen Tage vor. Hella war froh darüber. Bevor sie sich mit dem Haushalt plagte, mistete sie lieber die Pferdeställe aus.
    Angelockt von den Düften, stand Blitz tapsig im Weg. Ines räumte die Lebensmittel in den Kühlschrank und lief dabei im Slalom um den Schäferhund herum. Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen durch die Zentimeter kurzen Haare. „Hella, hast du etwas für die Post? Ich kann die Briefe auf dem Heimweg mitnehmen.“
    „Nur einen Brief. Ich hole ihn.“
    Hella ging in die Kammer im Erdgeschoss, in der sie das Schlafzimmer eingerichtet hatte. Der Umschlag lehnte an der Nachttischlampe. Sie hatte einige medizinische Geräte bestellt, bei denen mit einer monatelangen Lieferzeit zu rechnen war, und die Liste vor dem Einschlafen noch einmal durchgesehen. Als sie den Brief aufnahm, fiel ihr Blick auf die Kommode, auf der die Kleidungsstücke für den Urlaub bereit lagen. Sie hätte schwören können, dass sie den Ausdruck mit den Informationen zum Hof oben auf den Pass und den Umschlag mit dem Ticket gelegt hatte. Nun befand sich der Pass an oberster Stelle.
    Sie nahm die Bestellung an sich und kehrte in die Küche zurück. „Entschuldige, Ines. Warst du vorhin in meiner Kammer?“
    Ines schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin eben erst ins Haus gekommen. Was ist los?“
    „Ich habe den Verdacht, dass jemand an meinen Sachen war.“
    „Das würde mich nicht wundern“, entgegnete Ines spitzfindig. „Die Haustür war wie so oft nicht abgeschlossen. Ich warte auf den Tag, an dem ich hier herein komme, und es ist alles ausgeräumt. Unser blinder Hundegreis wird das nicht verhindern können.“
    Ich sollte mir wirklich angewöhnen abzuschließen, dachte Hella. Sie stieg die knarrenden Treppenstufen hinauf bis ins obere Geschoss. Blitz trottete ihr ein Stück hinterher, bis er auf halber Strecke die Lust verlor und sich im ersten Stock auf dem Läufer niederließ. Nach kurzem Zögern betrat sie das Dachzimmer, das zuletzt von Thies bewohnt worden war. Ein unglücklicher Ort. Hier waren nach schweren Krankheiten erst die Mutter und wenige Jahre später der Vater gestorben, und aus einem der Fenster hatte sich Thies in den Tod gestürzt. Alle seine Sachen waren noch da, unberührt und verstaubt. Die Rahmen mit den vergilbten Zeitungsartikeln über seine frühen Erfolge als Springreiter, an einem Wandhaken eine Trense mit zerrissenem Zügel, zwei alte Longe mit zerbrochenen Karabinern, die er zum Reparieren mitgenommen hatte, und neben der Tür ein Bücherregal. Er hatte nicht viele Bücher besessen, doch zu den wenigen Bänden gehörten die Standardwerke der Reiterei. Sie entschied sich für die Klassische Reitkunst von Alois Podhajsky in einer Ausgabe von 1965, die er in einem Antiquariat aufgetrieben haben mochte. Da sie nun alles beisammen hatte, wollte sie sofort packen. Die Reisetasche, mit der sie im Sommer auf den Hof gekommen war, hatte sie schon vor Monaten auf den Dachboden gebracht.
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