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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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sie sich verwählt?«
    » Nein«, sagte Sternenberg und schaute in ihr fassungsloses Gesicht. » Wachtmeister – das ist sonderbar.«
    » Stimmt, das sagt heute keiner mehr. Bis auf ein paar alte Leute vielleicht. War sie alt?«
    » Jedenfalls hat es mich aus einem anderen Grund erschreckt.«
    » Und der wäre?«
    Ihm missfiel dieser Dialog. Er hatte ihr eine Anekdote erzählen wollen. Damit sie sich nicht ihrer Erstlingstelefonate rühmen konnte. Wie sie jetzt vor ihm saß, das war inquisitorisch. Warum schickte er sie nicht raus? Bei der Polizei hätte er das getan und in Ruhe zu Ende geraucht, anstatt die Pfeife im Aschenbecher so weit wie möglich von ihr wegzuschieben.
    » Ich habe mich ertappt gefühlt«, sagte er und baute ein Grinsen auf. » Für ein paar Sekunden fürchtete ich, die Alte würde mich kennen. – Herr Wachtmeister, und das in einem richtigen Befehlston … Es ist nämlich so, dass ich im richtigen Leben wirklich Polizist bin.« Kai Sternenberg ließ eine Pause.
    Sie war unbewegt und ernst, und die Falten standen ihr noch immer auf der Stirn.
    » Nicht Wachtmeister«, schob er nach, » aber Polizist.«
    » Ich hab’ schon von dir gehört.« Sie spielte mit ihrer Halskette und schaute Richtung Fenster. » Ein Polizist, der bei der Telefonseelsorge arbeitet.«
    » Wir haben viele Berufe hier.« Er hoffte, eines der Telefone würde klingeln.
    » Und was machst du bei der Polizei? Richtig mit Uniform und so?«
    Immerhin, dachte er. Die meisten scheuen das Thema. Wie etwas, woran sie sich verbrennen könnten. Und das bei der Telefonseelsorge, wo ansonsten über alles offen geredet wird und jeglicher blinde Fleck analysiert werden muss.
    Die Sternenberg’sche Scheidungsgeschichte hatte er hier hunderttausendfach reflektiert. Aber niemand fragte ihn, ob er seinen Nebenjob bei der Seelsorge mit der Polizeiarbeit in Einklang bringen konnte. Gefragt hat niemand. Aber hinter seinem Rücken gingen die Debatten hoch her. Im Vorstand musste es mehr als Sorgen gegeben haben. Ihm gegenüber zeigte man aber nur ab und zu eine besorgte Miene, ob er auch wirklich Zeit habe für die Telefonarbeit und ob die Doppelbelastung – ohne auszuführen, was das sein mochte – ihm nicht zu viel sei.
    » Kripo. Gewaltkriminalität.«
    » Ach, so was wie im Fernsehen. Der Kommissar von der Mordkommission.«
    » So ungefähr.« Er nahm den Schreiber in die Hand.
    » Und deshalb dachtest du, die Frau mit dem Wachtmeister kennt dich.«
    » Richtig.«
    » Und wie ging es weiter?«
    » Sie ist aus der Rolle gefallen. Erst war ich der Wachtmeister für sie, dann war ich ihr Doktor.«
    » Hast du das klargestellt?«
    » Sie hat es nicht hören wollen. Als das mit dem Doktor nicht mehr passte, war plötzlich ein imaginärer Arzt da, mit dem sie gesprochen hat. Sie hat ihm Anweisungen gegeben, so wie zuvor mir.«
    » Ein Arzt?«
    » Ich glaube, dass die verschiedenen Identitäten ein Spiel mit ihr treiben.«
    » Und was wollte sie von dir?«
    » Von mir persönlich nichts. Vom Wachtmeister und vom Doktor. Hat sich über die Hausverwaltung beklagt, weil Fleisch aus den Türrahmen quillt.«
    Wieder dieser Blick, als habe Sternenberg sich das ausgedacht. » Was für Fleisch?«
    » Keine Ahnung. Blutiges Fleisch. Eine Wahrnehmungsstörung. Du kennst das ja.« Ihm fiel ein, dass sie das nicht kannte. » Sie hat von ihrem Mann gesprochen, einem Offizier. Offenbar gab es eine Amputation. Oder … vielleicht ist es ein Bild für eine Trennung. Ihr Mann ist tot, und sie kann nicht gehen. Eine Mischung der Persönlichkeiten. Ich vermute, dass sie etwas von ihrem Mann angenommen hat. Nicht nur den Befehlston des Offiziers, sondern auch sein Leiden. Kann aber auch sein, dass es ihr einfach schlecht geht und dass sie sich an etwas Starkem festzuhalten versucht: An der › Ehre‹ und an Autoritäten. Dem Wachtmeister, dem Doktor, dem Offizier und der Hausverwaltung. Und die Ambivalenz der Autorität ist, dass die Frau sich vor ihr fürchtet. Sie fühlt sich beobachtet und bedroht, sie hat Gewaltphantasien.«
    Er knipste am Kugelschreiber und schrieb: einsam, phantasiert wegen oder trotz Medikamenten.
    » Glaubst du, dass da etwas passiert ist?«, fragte Monika.
    Kai Sternenberg lachte. » Ein Gewaltverbrechen meinst du? Normalerweise bin ich derjenige, der voreilige Schlüsse zieht. Der Polizist, der hinter allem eine Straftat wittert.«
    » Blutiges Fleisch, das in der Tür eingeklemmt ist. Ein toter Ehemann, eine angebliche Amputation …
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