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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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Frau konnte er in den Telefonpausen reden. In manchen Nächten rief stundenlang niemand an, dann konnte der Austausch sehr intensiv werden. Man quatschte nicht nur über die Motive, bei der Telefonseelsorge zu arbeiten, sondern auch über sich selbst. Über Beziehungsprobleme, über seine Kinder, über Träume. Wenn es gut war und die Frau lachen konnte, war eine solche Begegnung die Strapazen der Nacht wert. Besser als die Liebesnacht mit einer Unbekannten. Oder übertreibe ich?
    Sternenberg verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es gab nicht viele große Frauen. Jahrelang erinnerte er sich an einzelne Sätze, an einen Blick, ein Glänzen in den Augen. Eine kleine Frau öffnete sich nicht und verursachte in ihm eine Ablehnung, die er körperlich spürte. Im Alltag war das nicht so deutlich wie in diesen Nächten.
    Ich muss mir Monikas Namen merken und aufpassen, dass ich nicht mehr mit ihr zusammen in den Dienstplan gerate. Er schloss die Augen und hatte Appetit auf Wein und ein großartiges Essen. So spät hatte er nach seiner Erinnerung nie ein gutes Telefonat gehabt. Nach zwei Uhr nachts bewegen sich Gespräche selten von der Stelle.
    Er hörte die alte Frau über das Fleisch in der Tür reden. Sternenberg vertraute seinen Gefühlen. Er hatte seine Gefühle zu einer Art Blindenhund gemacht. Hier jedenfalls, bei der Telefonseelsorge, erwiesen sie sich meist als gut trainiert.
    Monika klopfte gegen den Türrahmen. » Schläfst du?«
    » Nein. Was ist?«
    » Haben wir ein Branchen-Fernsprechbuch?«
    Er stand auf. » Ähm, kann sein. Wieso?«
    » Mein Klient am Telefon. Lass mal, dann find ich’s schon.« Sie rannte zurück in ihr Zimmer.
    Ihn störte, dass sie rannte. Niemals hatte er jemanden in diesen Räumen rennen sehen. Die Anrufer sind manchmal gehetzt, ich nicht. Sternenberg räkelte seine Schulter zurecht, fuhr sich durch die Haare, stand auf und ging Monika hinterher.
    Er setze sich auf ihren Besucherstuhl. Sie hatte sich ein Schulheft neben das Telefon gelegt. Als sie ihn sah, legte sie mit besorgtem Blick den Finger auf den Mund. Sie hörte zu und sagte nichts.
    » Ja«, sagte sie plötzlich, » ich sehe noch mal nach. Ich bin mir sicher, dass ich eine Adresse habe.«
    Der Anrufer redete offenbar. Kai Sternenberg sah die alarmierten Augen von Monika und warf ihr, als sie endlich noch einmal zu ihm schaute, einen fragenden Blick zu. Sie schrieb etwas in ihr Schulheft und schob es ihm hin. › Suizid‹ stand da. Sie nahm es zurück, schrieb etwas dazu und schob es erneut herüber. Jetzt standen drei Ausrufezeichen hinter dem Wort.
    Sternenberg machte die internationale Geste mit der flachen Hand, die sich mehrmals bremsend von oben nach unten bewegte, aber Monika sah angestrengt auf die Tischplatte.
    » Also, wie gesagt, ich habe die Adresse bestimmt hier. Ich muss sie nur suchen.« In einer plötzlichen Erleuchtung schrieb sie wieder etwas und schob es Sternenberg hin. In gehetzter Schrift fragte sie: Tel. Arbeitsamt?
    Als er sie ansah, wiederholte sie die Frage tonlos mit Lippenpantomime.
    Eine kleine Frau, dachte Kai Sternenberg.
    Sie hielt den Hörer halb zu und flüsterte mit großer Gebärde: » Haben wir die Nummer vom Arbeitsamt?«
    » Sprich mit ihm!«, zischte er.
    Sie schüttelte den Kopf und unterstrich Arbeitsamt und warf ihm das Schulheft so heftig zu, dass es von der Tischplatte glitt und ihm in den Schoß rutschte.
    Kai Sternenberg fuhr auf, zögerte eine Sekunde, konnte sich aber nicht bremsen und hieb auf die Gabel des Telefons.
    » Spinnst du?« Die Röte schoss ihr ins Gesicht. » Du hast ihn abgewürgt! Der bringt sich um!«
    Sternenberg warf ihr das Schulheft neben die Teetasse. » Blödsinn! Hat er das gesagt?«
    » Das hat er, allerdings.«
    » Und weshalb rennst du dann herum und suchst die Telefonnummer vom Arbeitsamt?«
    » Weil er verzweifelt ist! Er ist arbeitslos! Er wollte von mir die Nummer vom Arbeitsamt.«
    » Nachts um drei Uhr?«
    » Na und? Jetzt ist er weg. Und wenn er sich umbringt …?«
    Sternenberg setzte sich. » He, pass auf. Vermutlich ruft er gleich noch mal an. Aber er will keine Telefonnummer von dir, auch wenn er das sagt.«
    » Er hat definitiv darum gebeten.«
    » Kann ja sein.«
    » Es war auch einer seiner ersten Sätze! Er wollte die Nummer vom Arbeitsamt.«
    Schnell wie ein Schuss Spülmittel im Wasser verteilte sich die Wut in seinem Körper. » Du bist nicht die Auskunft. Es ist ein Vorwand. Der Mann will mit einem Menschen sprechen.«
    » Du hast
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