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Flammendes Eis

Flammendes Eis

Titel: Flammendes Eis
Autoren: Clive Cussler , Paul Kemprecos
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seien Sie ehrlich, mein Freund. Ich habe stets sehr viel von Ihrer Meinung gehalten.«
    Towrow ließ Revue passieren, was er über Russlands Nöte wusste, und wählte für seine Antwort ein Bild aus der Seefahrt.
    »Falls ein Schiff sich im gleichen Zustand wie unser Land befinden würde, müsste ich mich fragen, weshalb es nicht längst auf dem Meeresgrund liegt.«
    »Ich habe Ihre Aufrichtigkeit immer bewundert«, entgegne te Federoff mit einem lauten Lachen. »Anscheinend haben Sie außerdem eine besondere Begabung für Metaphern.« Dann wurde er wieder ernst. »Ihr Vergleich trifft es genau. Russland befindet sich in der Tat in einer
gefährlichen
Verfassung.
    Unsere jungen Männer sterben im Großen Krieg, der Zar ha t abgedankt, die Bolschewiken ergreifen skrupellos die Macht, die Deutschen besetzen unsere südliche Flanke, und wir haben andere Nationen aufgefordert, für uns die Kastanien aus dem Feuer zu holen.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm steht.«
    »Es wird sogar noch schlimmer, glauben Sie mir. Und damit wären wir wieder bei Ihnen und Ihrem Schiff.« Federoff sah ihm tief in die Augen. »Wir loyalen Patrioten hier in Odessa stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Weiße Armee hält derzeit noch stand, aber die Roten verstärken den Druck aus Norden und werden bald durchbrechen. Die fünfzehn Kilometer breite deutsche Militärzone wird sich wie Zucker in Wasser auflösen.
    Indem Sie diese Passagiere befördern, erweisen Sie Russland einen großen Dienst.«
    Der Kapitän betrachtete sich selbst als einen Weltbürger, aber tief im Innern empfand auch er die starke Heimatliebe seiner Landsleute. Er wusste, dass die Bolschewiki sämtliche Angehörigen der alten Garde verhafteten und exekutierten und dass vielen Menschen die Flucht nach Süden gelungen war.
    Manch einer seiner Kollegen hatte ihm bereits flüsternd von wichtigen Passagieren berichtet, die mitten in der Nacht an Bord kamen.
    Platz würde ausreichend vorhanden sein, denn das Schiff war praktisch leer. Die
Odessa Star
wurde von den meisten Matrosen gemieden, denn sie roch nach ausgelaufenem Treibstoff, rostigem Metall und schäbiger Fracht. Die Männer nannten das den Gestank des Todes und machten einen Bogen um das Schiff, als wäre an Bord die Pest ausgebrochen. Die Besatzung bestand überwiegend aus zwielichtigen Gestalten, die nirgendwo sonst anheuern konnten. Towrow könnte den Ersten Offizier bei sich in der Kabine aufnehmen und dadurch dessen Quartier für die Passagiere frei machen. Er warf einen Blick auf den dicken Umschlag. Das Geld würde für ihn den Unterschied zwischen dem Tod in einem Seemannsheim und dem Ruhestand in einem behaglichen Häuschen am Meer bedeuten.
    »Wir laufen in drei Tagen mit der Abendflut aus«, entschied er.
    »Sie sind ein wahrer Patriot«, sagte Federoff mit Tränen in den Augen. Er schob den Umschlag über den Tisch. »Dies ist die erste Hälfte. Den Rest erhalten Sie bei Ankunft der Passagiere.«
    Der Kapitän steckte das Geld ein und hatte das Gefühl, der Umschlag würde eine gewisse Wärme ausstrahlen. »Wie viele Passagiere werden es sein?«
    Federoff sah zwei Seeleuten hinterher, die soeben eingetreten waren und nun an einem der Tische Platz nahmen. »Ungefähr ein Dutzend«, antwortete er leise. »In dem Umschlag steckt ein zusätzlicher Betrag für den Proviant. Kaufen Sie die Vorräte bei unterschiedlichen Händlern ein, um keinen Verdacht zu erregen.
    Ich muss jetzt gehen.« Er stand auf und verabschiedete sich in einer Lautstärke, die auch noch den hintersten Winkel des Raums erreichte. »So, mein lieber Kapitän, ich hoffe, Sie verstehen unsere Zollbestimmungen nun ein wenig besser!
    Guten Tag.«
    Am Nachmittag vor der Abreise besuchte Federoff den Kapitän an Bord, um ihm mitzuteilen, dass der Plan sich nicht geändert hatte. Die Passagiere würden am späten Abend eintreffen. Niemand außer ihm sollte sich zu diesem Zeitpunkt an Deck befinden.
    Als Towrow dann kurz vor Mitternacht allein über das nebelverhangene Schiff schlenderte, kam unten vor der Gangway mit lautem Quietschen ein Fahrzeug zum Stehen.
    Nach dem rauen Klang des Motors zu urteilen, der gleich darauf erstarb, handelte es sich um einen Lastwagen. Die Scheinwerfer gingen ebenfalls aus. Türen klappten auf und zu, man hörte Leute murmeln und Stiefel über die nassen Pflastersteine scharren.
    Eine hoch gewachsene, in einen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt kam den Laufgang hinauf an Deck und näherte sich dem
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