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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika
Autoren: Martina André
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Obst sehe!», fuhr Maggie mit einem theatralischen Augenaufschlag fort. «Ob er die Früchte extra aus seiner Heimat Jamaika mitgebracht hat, um den hiesigen Damen zu imponieren?»
    Der Butler hatte den Korb wie eine kostbare Opfergabe auf einem Altar arrangiert. Anstelle von Heiligenfiguren drängte sich jedoch eine bunte Gesellschaft von exotischen Früchten darin, die es in dieser Form selbst in den vornehmsten Läden am Piccadilly Circus nicht gab, schon gar nicht zu dieser Jahreszeit: Ananas, Guaven, Papayas, Mangos, Brotfrüchte, Bananen, Orangen, Trauben, Pfirsiche und einiges mehr. Für manches wusste selbst Maggie keinen Namen, obwohl sie eine ausgesuchte Gouvernantenschule besucht hatte, in der auch exotische Speisen auf dem Lehrplan gestanden hatten.
    Jamaika!, dachte Lena verzückt. Was für ein verlockender Gedanke, einmal dort hinreisen zu dürfen! Allein der Klang dieses Namens berauschte sie.
    Unter ihrer schüchternen Fassade steckte wahrlich eine Entdeckernatur. Und obwohl sie sich ihrem Vater gegenüber stets brav und verschlossen gab, sehnte sie sich in Wahrheit nach dem ganz großen Abenteuer. Erneut studierte sie das Geschenk. Die Früchte waren säuberlich geschält und als Ganzes karamellisiert worden, damit sie in Konsistenz, Geschmack und Farbe möglichst lange haltbar blieben. Verpackt in buntes Seidenpapier, das sich wie ein kostbares Kleid um jede einzelne Köstlichkeit schmiegte, handelte es sich um eine unvergleichliche Versuchung, gegen die ein Paradiesapfel aus Baxters Süßwarenladen an der James Street eher bescheiden ausfiel.
    Maggies Überlegung traf zu, dachte Lena bei sich. Es war wirklich merkwürdig, dass die Countess of Lieven, die als Patronin dem Komitee für die Auswahl der Debütantinnen vorsaß, ausgerechnet sie auserwählt hatte, beim ersten Tanzvergnügen der Saison teilnehmen zu dürfen. Und dass sie Lena, ohne zu zögern, einem der begehrtesten Junggesellen ganz Londons als Tanzpartnerin zuerkannt hatte, war ein weiteres Wunder.
    Seit geraumer Zeit organisierte die Countess alle Bälle des sogenannten ‹Ton› – der Londoner Oberschicht, der nicht nur Adlige, sondern auch Politiker, reiche Geschäftsleute und Künstler angehörten. Die exklusiven Gäste mussten allesamt über gewisse Verbindungen verfügen, damit ihnen der Zutritt zu diesem Olymp der Eitelkeiten überhaupt erst gewährt wurde.
    Obwohl niemand etwas dergleichen erwähnt hatte, war Lena ziemlich sicher, dass ihr Vater hinter der Entscheidung der Countess steckte, sie einzuladen.
    Als Vorsitzender eines großen deutschen Handelskonsortiums pflegte Konsul Johann Friedrich Alexander Huvstedt Verbindungen in die höchsten politischen Kreise Englands. Und obgleich er normalerweise kein Freund der Tanzvergnügen war, hatte er seine einzige Tochter in letzter Zeit verdächtig häufig gefragt, ob sie nicht langsam das richtige Alter habe, einen passenden Gemahl für sich zu wählen. Es war anzunehmen, dass ihr Vater, der sich regelmäßig zu einer Partie Whist mit dem russischen Botschafter in London im vornehmen
Athenaeum Club
traf, nun die Verbindung zu dessen Ehefrau genutzt hatte. Jeder in London wusste, dass ausschließlich die Countess of Lieven die Macht besaß, eine junge Frau wie Lena für den anstehenden Debütantinnen-Ball in die Liste betuchter Heiratskandidatinnen aufnehmen zu lassen.
    Erneut griff Lena nach der Karte, die in dem mehr als großzügigen Obst-Arrangement gesteckt hatte und nun vor ihr auf dem Tischchen lag.
Verehrte Helena
, stand dort schön geschwungen in blauer Tinte geschrieben,
ich kann es kaum erwarten, Ihnen endlich persönlich vorgestellt zu werden! Mit hochachtungsvollem Gruß an Sie und Ihren werten Herrn Vater – Ihr ergebenster Diener: Sir Edward William Montgomery Blake, Sohn von Lord William Blake, dem
7
. Baronet of Clearwater Castle.
    «Ja, der Korb ist wirklich eine Pracht», bestätigte Lena und legte die Karte zurück in das großzügige Geschenk.
    Beim Blick in den Spiegel verzog sie ihr Gesicht zu einer wenig vornehmen Grimasse. Die Frisierdame hatte ihr Haar über den Ohren zu einem harmonischen Reigen aus Korkenzieherlocken und winzigen, weißen Seidenrosen zusammengesteckt, wobei sie gekonnt hier und da ein paar zierliche Löckchen herauszupfte.
    «Da muss noch ein Hauch mehr Puder ins Gesicht und ein wenig mehr Cochenille auf die Lippen», befahl sie der Frau. «Sir Edward muss ja nicht gleich wissen, wie aufgeregt ich bin, wenn ich ihm vorgestellt
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