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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm
Autoren: Mirinda Jarrett
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ihr auch ein zweites Mal gelingen. Sie musste es ja nur schaffen, bis zu Jonathan zu gelangen.
    Rasch und bevor der Mut sie verließ, stieß sie Rogers Pistole von ihrem Gesicht fort und wand sich seitwärts aus seinem Griff. Das war leichter, als sie es sich gedacht hatte, viel zu leicht.
    Sie raffte die Röcke, um nicht zu stolpern, und rannte lachend übers Deck. Schon war sie Jonathans ausgestreckten Händen ganz nahe, als sie die Kugel in ihren Arm einschlagen fühlte. Der Stoß und der Schmerz raubten ihr alles klare Denken, und sie stürzte gegen Jonathans Brust.
    „Himmel, Demaris, weshalb habt Ihr das getan, Liebste?“, fragte Jonathan immer wieder und wiegte sie in seinen Armen. „Weshalb habt Ihr das nur getan?“
    Für Demaris war dies eine vollkommen überflüssige Frage, doch gegenwärtig war sie zu müde, um ihm das auseinanderzusetzen. Als sie zu Roger zurückblickte, sah sie, dass er nicht mehr stand, sondern zusammengekrümmt auf dem Deck lag. Sein einst feines weißes Leinenhemd war jetzt dunkelrot. Kapitän van Vere stand über ihm und hielt eine Pistole in der Hand.
    Demaris nahm den beißenden Pulverdampf wahr und erinnerte sich nun auch, zwei schnell aufeinanderfolgende Schüsse gehört zu haben. Vorsichtig tastete sie nach ihrem Arm unterhalb der Schulter, und als sie die Hand zurückzog, waren ihre Finger blutrot.
    „Hört auf zu lamentieren, Jonathan“, flüsterte sie mit leiser, schwacher Stimme. „Falls ich jetzt auch vergessen sollte, wer ich bin, seid Ihr ja wenigstens da, um es mir zu sagen.“
    Und dann wusste sie tatsächlich überhaupt nichts mehr und überließ sich der großen Dunkelheit.

Epilog
    Plumstead, Mai 1709
    Wir glaubten nämlich alle nicht, dass Jonathan nie heiraten würde“, erzählte Dianna Sparhawk und tat ungeheuer vertraulich, obwohl sie und Dem
    aris sich ganz allein in dem Zimmer befanden, das Letztere mit Jonathan teilte, seit sie beide in Plumstead weilten.
    Dianna sprach nicht weiter, weil sie erst einmal ihre ganze Konzentration benötigte, um eine Nadel einzufädeln. Endlich glitt der Seidenfaden durch das Öhr.
    „Er hat immer behauptet, dass die Dame, die ihm genehm wäre, erst noch erschaffen werden müsste“, fuhr sie dann fort. „Nun ja, und dann hat er dich gefunden, oder genauer gesagt, du hast ihn gefunden. Wenigstens war er nicht so umnachtet, um nicht zu merken, welches Glück ihm da begegnet war.“
    Demaris lächelte ihre neue Schwägerin verschämt an. Dianna entsprach so gar nicht dem Bild, das sie sich immer von der Enkelin eines Herzogs gemacht hatte. Ihre Röcke waren ständig von klebrigen Kinderhänden und von Backmehl beschmutzt, und als die beiden Frauen sich vor drei Tagen zum ersten Mal begegnet waren, hatte Demaris fast erwartet, Jonathan würde gestehen, dass der herzogliche Großvater nur einer seiner vielen Scherze gewesen war.
    Allerdings besaß Dianna eine untertriebene Vornehmheit, die keine kostbare Garderobe benötigte, um sich zur Schau zu stellen, und Demaris hatte schnell erkannt, dass sie hier in der „Wildnis“ jene schwer zu beschreibende Qualität vorfand, die Roger und Evelyn zeitlebens so erfolglos zu erreichen versucht hatten.
    Unbewusst berührte sie die Narbe unter ihrem Ärmel und dachte traurig an ihren Schwager und seine Gemahlin. Obwohl niemand jemals die ganze Wahrheit erfahren würde, wollte Demaris doch gern glauben, dass es sich bei Evelyns Tod tatsächlich um einen Unfall gehandelt hatte und dass es die Trauer und nicht die Habsucht gewesen war, die Roger zu solchen Verzweiflungstaten getrieben hatte.
    Eine Woche nach seinem Tod kehrte sein Schiff, das er als verloren aufgegeben hatte, nach Newport zurück, und der Profit aus dieser Reise hätte viele seiner Schwierigkeiten aus der Welt geräumt. Erstaunlicherweise erklärte das Gericht Demaris zu Rogers Erbin, und nachdem dessen Verhältnisse geordnet waren, wurde sie von ganz Newport als eine sehr reiche Witwe und Jonathan als ein sehr vermögender Mann betrachtet.
    Nachdem sie nunmehr jedoch Plumstead gesehen hatte, erkannte sie, dass Newport ja überhaupt keine Ahnung hatte, was das Vermögen betraf. Die „Leopard“ war nur der Anfang. Die Sparhawks besaßen Sägewerke sowie Getreidemühlen und mehr Land, als ein Mann in zwei Wochen umreiten konnte. Das Geburtshaus war das Großartigste, was Demaris je zu Gesicht bekommen hatte.
    Selbstverständlich bedeutete ihr irdischer Besitz nicht sehr viel, denn für sie war das höchste aller
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