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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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verführen...
    Die Kneipe von Peer Pastrei war so gerappelt voll, daß sich fast kein Mensch mehr rühren konnte. Peers Töchter drängten sich ab und zu mit feuerroten Gesichtern und schäumenden Bierkrügen hindurch. An der Kegelbahn wurde immer lauter geschrieen, und einige Jahrmarktsgäste, wie Viktor Ohme, Rik Goris und Dorus Jeppes, führten schon das große Wort. Die Spinne sang »Antwerpeee, die schöne Stadt...« oder »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage...«
    Flachskopf schlenderte noch ein paarmal um den Markt, blies einige verlorene Töne auf seiner Blechflöte, mauste hier etwas an einer Naschbude, stellte dort irgendeine Dummheit an, sang zwischendurch mal wieder vom »edlen Kind Napoleons« und hörte erstaunt, wie die Lebkuchenfrau rief: »Kauft, ihr Leute, denn wenn der Markt vorbei ist, muß ich alles verschenken, weil ich es nicht mitnehmen kann...« So landete er wieder bei dem kleinen Tisch des Quacksalbers. Er hatte den mageren Mann schon lange gesehen, konnte aber nur wenig Interesse für ihn aufbringen. Jetzt blieb er stehen, weil die Frau ihn so wütend anguckte, da sie in ihm den Bengel wiedererkannte, der ihr vorhin die Zunge herausgestreckt hatte.
    Dieser Quacksalber sah höchst vornehm aus. Er trug einen hohen Hut, eine weiße Weste, einen langen, etwas verschossenen Frack und machte damit einen sehr gelehrten Eindruck. Als Flachskopf hinkam, erzählte er zum soundsovielten Male, wo er bereits überall Zähne gezogen hätte, in Brüssel, Paris und London, und von welch mächtigen Backenzähnen er dort die höchsten Persönlichkeiten erlöst hätte. Die Frau, die neben dem Tisch stand, bestätigte jedesmal seine Worte, indem sie zu den umstehenden Frauen sagte: »Jawohl, das kann er alles... Er ist ein furchtbar kluger Kopf .« Und sie zeigte dabei auf den kleinen Glaskasten mit den goldenen Medaillen und den blutigen Gebissen.

    Unmittelbar vor dem Quacksalber standen Kornelie Geibels, Flachskopf, Potter, Rikus Noei und Das und dahinter noch etliche Leute, die aus irgendeinem Grunde den Reden des Quacksalbers lauschten.
    »Der Mann solls mal bei mir versuchen ,« meinte Rikus Noei plötzlich zu Das, »das geht nun schon ein ganzes Jahr, daß ich Schnaps draufgieße, und es nützt nichts.« Und zum Quacksalber sagte er: »Hier, ziehen Sie mir den mal aus !« Er legte zwei Franken auf den Tisch, die die Frau sofort an sich nahm, machte den Mund unsagbar weit auf und zeigte auf einen seiner schwarzen Backenzähne. Der Mann stieg von seinem Stuhl herab, nahm ruhig eine kleine Zange zur Hand, ließ sich noch einmal genau zeigen, welcher Zahn heraus sollte, und als er ihn kräftig gefaßt hatte, zerrte er Rikus ein paarmal so wild von links nach rechts, daß dieser beinahe zu Boden fiel und die Leute einige Schritte zurückwichen. Ein halb erstickter Fluch gurgelte in Rikus’ Kehle, seine Mütze flog auf die Erde, und gerade, als er die Hand erhob, um den Quacksalber bei der Kehle zu fassen, zog dieser mit einem letzten Ruck die Zange an sich, und der Zahn war heraus. Er hob das blutige Ding triumphierend in die Höhe, Rikus warf ein paar Leute um, ließ sich auf den Grabenrand niederfallen, und der einzige Ton, den er von sich gab, war ein endlos wiederholtes: »Verdammt — verdammt — verdammt !!!« Er spuckte und stammelte, bis man ihm einen Eimer Wasser brachte, um den Mund auszuspülen.
    Flachskopf lachte sich fast kaputt.
    Als Rikus noch eine ganze Reihe von Verwünschungen geäußert, fast einen halben Eimer Wasser zum Spülen verbraucht und zwei Schnäpse getrunken hatte, ließen die Schmerzen etwas nach. Er spuckte zwar noch fortwährend Blut, aber das war weiter nicht gefährlich. Er trat wieder an den Tisch, stolz über seinen Mut; und als der Mann ihn fragte, ob er noch Schmerzen hätte, antwortete er mit blassem Gesicht und verzerrtem Mund, daß es nicht mehr schlimm sei. »Aber so, wie Sie die Zähne ziehen, so kann ich es auch«, behauptete Rikus. Potter hatte Lust, ebensoviel Mut zu zeigen, aber er ließ es wegen des Geldes. Er mußte jedoch dem Mann erzählen, daß er auch einen hohlen Zahn hätte, den er schon dreimal hatte »besprechen« lassen. »Sehen Sie mal !« sagte er zu Kornelie Geibels. Diese guckte in den offenen Mund nach dem hohlen Zahn, aber Potter mußte erst seinen Kautabak wegnehmen.
    »Das Loch ist so groß, daß man fast den Finger hineinstecken könnte«, sagte Kornelie, und da Das nicht gleich sah, welcher Zahn gemeint sei, steckte sie
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