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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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nicht mehr verwinden und eines Tages sagt es zu seiner Mutter daß es nun nach dem Vater suchen will... Hier sieht man (er zeigte mit dem Stock auf die Bilder) das Kaiserskind vor der Mutter stehen... Lewie (zum Musikanten) gib mal den Ton an... Komm Rosalie, lege los...« Seine verbrauchte Baßstimme mischte sich mit dem grellen Geschrei des Weibes, und die zwei letzten Zeilen jeder Strophe wurden als Refrain wiederholt.
    Die Gesichter der Zuhörer nahmen plötzlich einen starren, mitleidsvollen Zug an. Sie fühlten, daß es sich hier um große und erhabene Dinge handelte.
    Bei jeder neuen Strophe gab der Sänger eine kurze Erklärung und zeigte die passenden Bilder auf der Leinwand. In seiner Stimme lag ein tragischer Ernst, und er machte ein Gesicht, als sänge er an einem Grabe. Die Bauern sperrten vor Rührung das Maul auf, die Frau hatte zu wenig Hände, um alle Kunden zu bedienen. Der Sänger zeigte immer wieder auf die Bilder. Mit sehr viel gutem Willen erkannte man darauf eine menschliche Gestalt mit weißen Strümpfen, einer hellblauen Hose und einer hellroten Joppe, die »das edle Kind« darstellen sollte. Es streckte die steifen Arme nach einem schwarzen Fleck am Boden aus, der einen Sarg vorstellte. Die Zuschauer waren sehr gerührt. Sie fanden es schrecklich traurig für das »arme Kerlchen«. Zwischen zwei Strophen piepste die Harmonika ein wehmütiges Intermezzo, als ob jemand anfangen wollte zu weinen. Die Gesichter der Bauern wurden immer länger, ihr Kinn senkte sich, ihr Mund stand halb offen, und sie vergaßen ihre Pfeife, die sie in der erhobenen Hand hielten. Eine Bäuerin mußte einmal heftig an ihren Röcken ziehen, als ob es ihr vor Rührung zu warm geworden wäre. Aller Augen waren starr und mit frommer Andacht auf den Sänger gerichtet, und jedesmal, wenn er auf ein Bild seiner Leinwand zeigte, warfen sie einen prüfenden Blick darauf und nickten zustimmend mit dem Kopf.
    Gust Heul putzte sich die Nase mit solcher Gewalt, daß er einen Augenblick die Musik übertönte. Dorus Sanders schnappte einmal nach Luft und zündete dann seine Pfeife wieder an. Der Zulauf des Publikums wurde immer größer, und der Absatz der Liedertexte war glänzend.
    Lewie Vernelen schüttelte den Kopf und sagte laut vor sich hin: »Es ist doch verdammt schrecklich !«
    Flachskopf hatte mit offenem Mund und mit offenen Ohren zugehört. Er fand, daß es das schönste Lied war, das er jemals gehört hatte; und wenn er sich nicht vor all den Leuten geschämt, so hätte er bestimmt geweint. Er betrachtete mit verliebten Augen die Bilder auf der Leinwand, und er fühlte ein so grenzenloses Mitleid mit diesem armen Sohn Napoleons, daß er gern von dem Bänkelsänger erfahren hätte, ob der arme Teufel noch lebte.
    Einige Augenblicke herrschte Stille, und die Bauern starrten mit offenem Munde auf den Sänger, als erwarteten sie, daß noch etwas folgen würde. Aber der Musiker spielte eine neue Melodie, die auf andere Gedanken brachte und die schwermütige Stimmung der Leute unsanft vertrieb. Der Sänger wußte eine Weile nicht, was er sagen sollte. Beim Singen folgte er mit mißtrauischen Blicken der jungen Frau, als ob er ihr wegen des eingenommenen Geldes nicht ganz traute, und er las inzwischen auf den Gesichtern, ob einer Lust hätte, ein Exemplar seiner Poesie zu kaufen. Wenn einer es wagte, mit dem Kopf zu schütteln, ersuchte er ihn, für andere Leute Platz zu machen, und fügte gewöhnlich noch ein paar Gehässigkeiten hinzu. Wer den frei gewordenen Platz einnahm, fühlte sich natürlich moralisch verpflichtet, einen Liedertext zu kaufen. Flachskopf konnte keine fünf Cent mehr aufwenden, um sich einen Liedertext anzuschaffen, aber aus der Tasche von Franz Buts, der vor ihm stand, zog er heimlich dessen Exemplar, schob es in die eigene Tasche und verschwand. Ein paar Schritte weiter las er das Lied gleich noch einmal durch und fing dann an, laut zu singen.
    Der Markt hatte jetzt den Höhepunkt erreicht. Händler und Krämer schrieen sich die Kehle rauh, die heisere verstimmte Drehorgel des Karussells wimmerte in rasendem Tempo, und die Pferdchen flogen wild im Kreis herum; die größeren Jungen und Mädchen saßen jetzt darauf, und es gab ein Kichern und Kreischen, daß die älteren Leute es einfach eine Schande nannten. Die ausgelassene Jugend hätte gar keinen Anstand mehr! Die Welt würde immer schlechter! Und dann das Flattern der Röcke, wenn die Weibsbilder auf den Pferdchen saßen! Alles, um die Jungen zu
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