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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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zarte Duft des blühenden Korns.
    Das alles beachtete Flachskopf heute nicht. Er war selbst ein Stück dieses herrlichen Sommermorgens.
    An den Tanzzelten von Teut und Victalis spielten schon einige Knaben. Bei Fritz hatte es am Abend vorher Keilerei gegeben, und vor dem Hause lagen die Scherben der Gläser und Fensterscheiben. Bei Jan Gille wurde eine Tonne Bier abgeladen, und eine Anzahl Bengel, ungewaschen, halb angezogen, mit borstigen Haaren und nackten Füßen, guckten zu. Flachskopf warf flüchtig einen frohen Blick auf die grauen, dickrunden Zelte, die so fremdfarbig zwischen den roten Ziegeldächern und den grünen Bäumen hervorbeulten; aber er ließ sich nicht aufhalten. Für das alles hatte er den ganzen Nachmittag Zeit genug. Er ging gerade auf sein Ziel los, zum Sankt-Jans-Markt. Von allen Seiten zogen noch viele andere Leute in derselben Richtung: Mütter mit Kindern, Männer in Gruppen von drei oder vier, mit schwarzen Kitteln und seidenen Mützen, und Flachskopf sah den blauen Tabakrauch über ihren Köpfen aufsteigen.
    An der Wohnung des Schusters würfelten drei Knaben um kleine Münzen. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und hielt einen Augenblick an, um zuzugucken. Dann wagte er einen Cent und gewann. Beim zweiten Mal verlor er den Cent wieder. Beim dritten Mal verlor er auch und beim vierten Mal ebenfalls, dann zog er wütend ab. Das waren zwei Cent, die glatt weggeworfen waren!
    Viel weniger gut gelaunt schritt Flachskopf weiter. Er zählte noch einmal sein Geld nach, aus der rechten Hand in die linke, und überlegte sich inzwischen, was er auf dem Markt kaufen könnte. Eine Flöte aus Blech, das stand fest, und die kostete fünf Cent. Dann etwas zum Naschen: Karamellen, Eiskrem oder Hörnchen. Was er mit dem Rest machen würde, wollte er sich noch überlegen. Vielleicht war es besser, etwas für den Nachmittag übrigzubehalten. Aber die Flöte brauchte er auf alle Fälle. Wenn er die Mutter sähe, wollte er die fünfzehn Cent von Heini lieber nicht erwähnen, dann bekäme er vielleicht noch etwas...
    »He! Flachskopf... gehst du auch auf den Markt ?«
    Es war Tist von Franz Truien, ein dreckiger, verwilderter Bengel, der sich den ganzen Tag im Wald herum trieb und noch nie die Schule gesehen hatte. Er konnte fluchen wie ein Erwachsener, Schnaps trinken, Pfeifen rauchen, Schlingen auslegen und viele andere Dinge, die ihn bei den Knaben seines Alters hochangesehen machten. Er wohnte hinter dem Sandberg, im Kranichreich, und wenn man zu Hause vernahm, daß Flachskopf mit Tist zusammengesehen worden war, dann war der Teufel los.
    »Ja ,« antwortete Flachskopf zögernd, während er die zerrissenen Kleider und die schmutzigen Füße des andern betrachtete; denn Tist war natürlich barfuß. Im Grunde mochte er Tist ganz gut leiden, aber für einen Kirmestag sah er doch allzu lumpig aus; auch bestand die Gefahr, daß die Mutter ihn sehen könnte...
    Er hielt sich behutsam an der anderen Seite der Straße, und Tist hatte volles Verständnis dafür, war es gewohnt und dachte nicht daran, es übelzunehmen.
    »Ich habe einen Franken !« erklärte Tist plötzlich stolz, und zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er das Geldstück hoch. »Zu Hause bekommen... Kannst du nicht wechseln, Flachskopf ?«
    »Nein, ich habe auch kein kleines Geld«, antwortete Flachskopf in einem Ton, als hätte er nur Silbergeld und Banknoten. Er war übrigens überzeugt, daß Tist den Franken gestohlen hatte.
    Tist erzählte ausführlich, was er alles auf dem Markt kaufen wollte. Er brauchte vor allem ein Messer, um damit zu fechten und jemand den Kopf abzuschneiden... Mit solchen Sachen wollte er Flachskopf verblüffen, aber dieser gab ihm recht, und um sich ebenso tapfer zu zeigen, fragte er in gleichgültigem Ton: »Glaubst du, daß es auf dem Markt Revolver gibt, Tist ?« Er dachte dabei an seine friedliche Blechflöte und an seine dreizehn Cent.
    Sie kamen an das Haus von Jan Knop und konnten von hier aus den Markt sehen. Dieser wurde am Kreuzpunkt der Landstraße nach Testelt und der Landstraße nach Herselt abgehalten. Er fiel mitten in die Kirmeswoche, Ende Juni, und lockte in dieser schönen Jahreszeit viele Leute von weit und breit heran. Erst sahen sie die weißen Zelte der Krämer, die lange Latte des »Kraftmessers«, die buntbemalte Leinwand der Bänkelsänger, und sie hörten das leierige Quieken der Karussellorgel. Die Frühmesse in der Klosterkirche von Averbode war schon eine Weile zu Ende, und zwischen
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