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FKK im Streichelzoo - Roman

FKK im Streichelzoo - Roman

Titel: FKK im Streichelzoo - Roman
Autoren: Bjoern Berenz
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ich mich ein wenig genervt anhöre. Entschuldigend füge ich hinzu: »Mein Zug geht nämlich gleich.«
    »Wenn’s recht ist! Sie hören dann von uns.«
    *
    In einem Punkt habe ich mich geirrt. Mein Zug geht nicht gleich, sondern genau in dem Augenblick, als ich die letzte Stufe zum Bahnsteig im Hechtsprung nehme. Oder besser: als ich es versuche. Tatsächlich bleibe ich mit der Schuhspitze an der Stufenkante hängen und mache einen unfreiwilligen Satz nach vorne. Es gelingt mir gerade noch, den Sturz mit meinen Händen abzufangen, um mir nicht die Nase auf den Bodenplatten von Gleis sechs aufzuschlagen. Dabei muss ich leider meinen gerade erst zurückeroberten Koffer loslassen, der hinter mir polternd die Treppenstufen hinabdonnert. Auf dem Bauch liegend kann ich zusehen, wie das Bordrestaurant, gefolgt von Wagen drei mit meinem reservierten Sitzplatz, an mir vorüberzieht.
    Nürnberg und ich, das ist noch nicht die Harmonie in Reinkultur. Aber noch bin ich nicht bereit, die Niederlage anzunehmen. Nicht an diesem Tag. Nicht in dieser Stadt!
    »Na, wohin denn so eilig, junger Mann?«
    Dort, wo eben noch eine durchgehende rote Linie immer schneller an mir vorbeigerauscht ist, stehen nun zwei Beine in einer dunkelblauen Polyester-Stoffhose. Dankbar greife ich nach der Hand, die sich mir entgegenstreckt.
    Kaum stehe ich wieder, blicke ich in ein hageres Gesicht, in das sich die Jahre des Dienstschiebens auf zugigen Bahnsteigen tief hineingefressen haben. Der Schaffner späht an mir vorbei in die Treppenschlucht, die zur Bahnhofshalle führt. Die Uniform ist ihm mindestens zwei Nummern zu groß. Er sieht fast so lächerlich aus, wie ich mich seit einer guten halben Stunde fühle. Oder genau genommen seit achtundzwanzig Jahren.
    »Danke«, sage ich, aber das geht im Lärm des Bahnhofs unter.
    »Ihr Koffer?«, fragt die kleine Gestalt über meine Schulter hinweg in Richtung Treppenabgang. Es klingt nicht wirklichnach einer Frage, vielmehr nach einer Feststellung, für die es die letzte Bestätigung braucht.
    Ich nicke stumm und muss mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, was sich hinter mir offenbart. Das anzügliche Grinsen des Schaffners sagt schon alles. Begleitet vom hysterisch-schockierten Gelächter aufgebrachter Stimmen hinter und neben mir weiß ich, dass mein Trolley den Treppensturz nicht verschlossen überstanden hat.
    Da stehen wir nun am obersten Treppenabsatz und teilen die an uns vorbeiziehende Menschenmenge wie Moses das Meer.
    »Zug verpasst, was?«, greift der Schaffner das Dienstgespräch wieder auf. Sein Blick gilt noch immer dem Szenario hinter mir.
    Die Treppe hinabzusehen, in den Schlund meiner eigenen Demütigung, ist beileibe das Letzte, was ich will. Dennoch riskiere auch ich einen scheuen Blick über die Schulter und sehe weit aufgerissene Augenpaare, mir entgegenragende Zeigefinger und den dezimierten Inhalt meines Koffers, der auf dem Weg nach unten herausgeschleudert wurde und nun die Treppenstufen spickt wie Schokoladensplitter eine Kugel Stracciatella-Eis.
    Ganz unten, wo die Treppe auf den schönen, glänzenden Platten des Nürnberger Hauptbahnhofs endet, liegt der Koffer, beide Schalenteile aufgeklappt, in einem traurigen Spagat. Ein Mann mit grauem Trenchcoat und jenseits des Rentenalters meint es gut und will offensichtlich beim Aufräumen helfen. Mit irritiertem Gesichtsausdruck wiegt er einen durchsichtigen Gegenstand in der Hand, der mit etwas gutem Willen auch als Sauerstoffmaske durchgehen könnte. Lediglich die Aufschrift auf der aufgerissenen Verpackung gibt Nichtkennern einen Hinweis auf den wahren Verwendungszweck der Pussy Pump.
    Allem Anschein nach ist der freundliche Herr der englischen Sprache nicht mächtig.
    »Na, dann zeigen Sie mal Ihr Ticket«, grinst der Schaffner, der sich ganz offensichtlich nur schwer von dem bizarren Anblick losreißen kann. Mit einer routinierten Bewegung nimmt er meine Fahrkarte an sich, die ich ihm entgegenhalte, schiebt seine Brille nach oben und hält das Papier dicht vor die Nase. Auf seiner Stirn bildet sich eine steile Falte, als er sagt: »Das ist nun aber wirklich Pech!«
    Dieses Gefühl verfolgt mich schon seit einer Weile.
    »Mit dem Ticket können Sie nicht so ohne Weiteres in den nächsten Zug steigen. Sie müssen zum Service-Point und die Fahrt umschreiben lassen.« Jetzt sieht er mich zum ersten Mal richtig an. Ich glaube, eine Spur Mitleid in seinem Blick zu erkennen. »Ich würde Ihnen ja helfen mit … dem Zusammenpacken …
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