Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache
Autoren: Corinna Kastner
Vom Netzwerk:
sich auf, jedes Verlangen wie weggewischt. Sie lauschte in die Dunkelheit und hätte geschworen, dass Paul nicht nur nicht im Bett lag, sondern überhaupt nicht im Haus war. Noch einmal, diesmal bewusst, fuhr ihre Hand unter die Decke. Dort, wo Paul gelegen hatte, war es kalt, er musste schon vor einer Weile gegangen sein.
    Der Wecker neben dem Bett zeigte Viertel vor eins. Seufzend ließ sich Kassandra zurück ins Kissen fallen. Sie starrte Löcher in die Luft und versuchte, nicht daran zu denken, dass Paul jetzt wahrscheinlich ruhelos durch die Gegend lief und über seinen Bruder grübelte. Eine halbe Stunde verging, ohne dass er zurückkam oder Kassandra wieder einschlafen konnte. Sie gab auf und ging die Treppe hinunter, schaltete eine Leselampe ein und griff nach einem Buch.
    Sie las gerade dieselbe Seite zum dritten Mal, da klingelte es an der Tür. Zu Tode erschrocken ließ sie das Buch fallen und riss kurz darauf die Tür auf.
    Vor ihr stand Bruno, ein verlegenes Lächeln im Gesicht. »Ich weiß, es nicht gerade die übliche Besuchszeit, aber …«
    Â»Ist was mit Paul?«, unterbrach sie ihn und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Stimme überschlug.
    Â»Er ist nicht hier?«
    Wortlos verneinte Kassandra, einigermaßen beruhigt, denn dass Bruno das fragte, hieß, er wusste von keiner Katastrophe. Sie ließ ihn eintreten.
    Â»Weißt du, wo er hinwollte?«, fragte er.
    Â»Nein. Ich weiß nur, dass er sich verändert hat, seit …« Sie hielt inne, weil sie nicht wusste, ob sie mit ihm über Sascha reden sollte.
    Â»Seit sein Bruder wieder da ist, meinst du«, beendete Bruno den Satz für sie und ließ sich auf dem Sofa nieder.
    Kassandra nickte, überrascht, dass Bruno davon wusste. »Sascha ist …«
    Â»â€¦Â ein gewissenloses Arschloch. Ist er immer gewesen, und ich geh nicht davon aus, dass sich daran in den letzten fünfzehn Jahren was geändert hat.« Auf Kassandras fragenden Blick hin erklärte er: »Der hat schon dem einen oder anderen auf dem Fischland das Leben schwer gemacht, mal mehr, mal weniger. Deshalb hab ich auch befürchtet, dass es Ärger gibt, als ich ihn heute Mittag auf der Seebrücke sah. Sascha hingegen hat es vorgezogen, mich nicht zu sehen.«
    Â»Was hat er getan?«
    Bruno gab ein Geräusch von sich, das halb Lachen, halb Schnauben war. »Das willst du nicht wissen.«
    Wieso glauben bloß alle, dass ich nichts wissen will?, fragte sich Kassandra. Laut sagte sie: »Warum bist du hier?«
    Etwas verlegen rutschte Bruno nach vorn auf die Sofakante. »Ich hatte einen Traum. Keinen sehr angenehmen. Ich hab das manchmal, und leider bedeutet das meist nichts Gutes. Ich hab versucht, mir einzureden, dass es diesmal die berühmte Ausnahme von der Regel ist, aber ich konnte trotzdem nicht wieder einschlafen, nicht mal nach einem langen Spaziergang am Bodden.«
    Bruno wohnte nahe am Fischländer Hafen jenseits der Ernst-Thälmann-Straße, die Wustrow in zwei Hälften teilte.
    Â»Hast du von Paul geträumt?«
    Bruno nickte, offenbar erleichtert, dass Kassandra ihn nicht für verrückt erklärte, aber dazu war sie selbst viel zu besorgt. »Und von Sascha. Hat mir keine Ruhe gelassen. Ich hätte natürlich anrufen können, aber ich wollte Paul sehen. Er ist … Seit sein Vater tot ist, ist Paul für mich wie der Sohn, den ich nie hatte. Ich weiß, das klingt albern, in seinem Alter und so. Entsetzlich sentimental.«
    Â»Nein. Tut’s nicht«, sagte Kassandra gerührt.
    Eine Weile schwiegen und warteten sie gemeinsam.
    Â»Ihr passt gut zusammen, du und Paul«, sagte Bruno in die Stille hinein. »In jeder Beziehung. Wenn ich noch mal den Kitsch bedienen dürfte: Du tust ihm gut.«
    Â»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, sagte Kassandra.
    Bruno lächelte kurz, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich kann hier nicht länger rumsitzen, ich geh Paul suchen. Irgendwo muss er ja sein. Vielleicht …« Er stockte. Kassandra ahnte, was er unausgesprochen ließ: Vielleicht konnte er etwas Schlimmes verhindern. Sie wollte sich anziehen und ihn begleiten, doch er hielt sie zurück. »Nein, du bleibst. Wenn er zurückkommt, braucht er dich möglicherweise.«
    Aber Paul kam nicht zurück. Es war kurz vor zwei, als Bruno ging, Kassandra blieb noch stundenlang wach, dämmerte zwischen halb sechs
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher