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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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Rundgang durch die Hügel am Ende die Treppe hinab, die zum Festplatz führte, und die Treppe verdiente ihren Namen nicht wirklich. Vielmehr handelte es sich um eine unregelmäßige Ansammlung von Stufen im Dreck, hier und da durch einen Holzpfahl befestigt, mit einem Handlauf, an dem sich festzuhalten beziehungsweise sich auf ihn zu verlassen definitiv keine gute Idee wäre. Trotzdem war es der kürzeste Weg nach unten, woraus folgte, dass immer Hunderte Menschen gleichzeitig die Treppe benutzten. Heiko war jedenfalls bisher jedes Mal froh gewesen, wenn er das wackelig-schlüpfrige Bauwerk hinter sich gebracht hatte. Aber die Damen waren ein erfreulicher Anblick. Nichtsdestotrotz schweiften seine Blicke nur selten ab, die meisten galten seiner Freundin. Vielleicht sollten sie doch zusammenziehen. Zusammenziehen wäre ein erster Schritt. Ein Schritt wohin? Heiraten war ungut, das dachte er immer noch. Nur, mit Lisa konnte er sich etwas so Ungutes wie Heiraten direkt vorstellen. Na ja. In ferner, ferner Zukunft. Sie folgten der Hauptstraße und ließen die Kirche rechts liegen, um dann der Abzweigung zu folgen, die, wie ein Schild verkündete, schlichtweg zum › Freibad‹ führte. Eine Bierbank stand quer über der Straße, hier war die Kasse aufgebaut. Lisa ließ ihren Blick zu der riesenhaften Figur schweifen, die sich direkt hinter der Kasse an einer Scheunenwand befand. Es handelte sich um einen deutlich überlebensgroßen Gartenzwerg mit blauer Mütze, weißem Bart und Punkt-Punkt-Komma-Strich-Gesicht. Direkt unter dem Gartenzwerg saßen zwei Mittdreißiger und verkauften die Eintrittskarten. »Zweimal?«, fragte der linke von ihnen, der, wie ein Button an seinem Hemd verkündete, Mitglied des Vereines ›Goldbacher Tradition‹ war. Heiko nickte, bezahlte den Eintritt und nahm die beiden Eintrittskarten entgegen, die zwar von einer schnöden Rolle abgerissen wurden, aber immerhin mit ›52. Goldbacher Lichterfest‹ beschriftet waren. Zudem reichte der andere Lisa noch zwei Flyer, auf denen alle Figuren des diesjährigen Lichterfestes verzeichnet waren. »Märchenland«, las Lisa.
    »Ja, heier hemmer lauter Märchensach«, bestätigte der Verkäufer. »Ach, und do, wellt ihr do unterschreiba?«, meinte der erste. Er legte Lisa ein Klemmbrett hin, wo schon mehrere DIN-A4-Blätter mit Unterschriften befestigt waren. »Um was geht’s?«, fragte Heiko.
    »Dass wir Goldbacher uns distanzieren. Von dem Flugblatt.« Heiko und Lisa fanden das eine gute Sache, eine sehr gute sogar, und beide setzten ihre Unterschrift auf das Blatt.

    Sie folgten der Straße und bewunderten die schon jetzt in der Dämmerung funkelnden Vorgärten. In jedem Garten steckten unzählige Lichterbögen, die mit jenen farbigen Papierbechern bestückt waren, die sie damals schon bei Lothar Holderberg gesehen hatten. Das Papier war zwar nicht direkt transparent, aber doch so durchscheinend, dass ein einzelnes Teelicht den Becher zum Strahlen bringen konnte. Und die Farben waren nicht gerade pastellig – es gab ein sattes Sonnengelb, tiefes Königsblau, Hellrot, Französischgrün und so weiter. Unwillkürlich nahm Heiko Lisas Hand. Die Luft war lau, und die Grillen zirpten. Überall Lichter und dazwischen anerkennendes Gemurmel. Auch in vielen Einfahrten waren Figuren auf dem Hof arrangiert. Lisa bewunderte einen Vogel, der laut Programm den Phönix darstellen sollte. Das passte zwar nicht wirklich zum Märchenthema, ging aber durchaus, wenn man die moderne Variante Harry Potter dazunahm. Nach einigen Minuten passierten sie das letzte Haus der Siedlung und hatten nun einen freien Blick auf die Hügel, welche die eigentliche Attraktion des Lichterfestes darstellten. Lisa registrierte kurz den Festplatz rechts von sich, der trotz all seiner Lichter und seinem Gefunkel an Buden und Fahrgeschäften regelrecht unauffällig wirkte gegenüber dem, was sich da auf den Hügeln abspielte: Auf einer Länge von mehreren Hundert Metern waren Figuren arrangiert, die jetzt in der Halbdämmerung strahlend leuchteten. Dazwischen schwebten einzelne Lichter und kleine Flämmchen auf und nieder, die verrieten, dass eifrige Goldbacher damit beschäftigt waren, ausgegangene Teelichter wieder anzuzünden.
    »Wahnsinn«, bescheinigte Lisa, »das ist wunderschön!«
    Heiko machte »Hm«.
    »Und das machen die Goldbacher?«
    »Ganz allein«, bekräftigte Heiko nicht ohne Stolz. Er war zwar kein Goldbacher, aber die Goldbacher waren Crailsheimer und noch dazu
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