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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Autoren: Fabio Genovesi
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Überleben ist das Dröhnen eines Motors zu hören.
    Ein Wagen, es kommt jemand, der Junge dreht sich um, schwenkt den Arm, ruft um Hilfe. Aus dem Auto ein blechernes Gebrüll, das die Stimme des Jungen übertönt und die ganze Landschaft beschallt.
    »Hau in die Pedale! Wenn du einen Fuß auf den Boden setzt, fahr ich dich über den Haufen. Hau in die Pedale!«
    Das Auto gibt Gas und rückt den Hunden auf die Pelle und hupt. Die Tiere weichen zum Straßenrand aus, wo sie weiterlaufen. Doch der Wagen drängt sie immer weiter zur Seite, schneidet ihnen dann den Weg ab und legt eine Vollbremsung hin. Die Tür springt auf. Die Hunde begreifen nicht recht, was vor sich geht, aber was da auf sie zukommt ist eine noch gehaltvollere Mahlzeit.
    Allerdings ist sie nicht wehrlos, der Mann hält eine Eisenstange in der Hand, wie auch der Schäfer eine hat. Die Hunde springen auseinander, ducken sich, bereit zum Angriff. Aber der Mensch ist schneller. Jetzt hat er einen der beiden Hunde erreicht und zieht ihm mit der Stange eins über. Ein schwerer Schlag, ein schneidender Schmerz, der Laut aus dem Hundemaul klingt wie eine verlöschende Kerze.
    Das Tier taumelt kurz, es sieht seinen Gefährten hangabwärts stürmen, und sobald es wieder weiß, wie man die Beine gebraucht, jagt es ihm hinterher. Auf das Wäldchen zu und auf die andere Seite des Colle di Sasso, wo Schnee liegt und wo jetzt vielleicht der Schäfer vergeblich nach ihnen Ausschau hält.
    Dort unten, in Erwartung weiterer Prügel, verschwinden die beiden namenlosen Hunde im Gehölz und damit auch aus dieser Geschichte.
    Roberto Marelli ist wieder eingestiegen, hat die Eisenstange im Fußraum abgelegt und fährt jetzt im ersten Gang und mit heulendem Motor weiter bergauf.
    Zwanzig Jahre lang ist er selbst Radrennen gefahren, seit zehn Jahren trainiert er den Nachwuchs. Er kennt zahlreiche Profis und wird zu vielen offiziellen Feierlichkeiten eingeladen, auch hierher, in die Provinz Campobasso, die im nächsten Jahr Etappenziel des Giro d’Italia sein wird.
    Aber er hatte keine Ahnung, wie abgelegen diese Gegend ist. Er ist viel zu spät in Muglione losgefahren und weiß jetzt nicht einmal, wo er sich gerade befindet. Die beiden Hunde mitten auf der Straße, die ihm den Weg versperrten, hätte er am liebsten überfahren. Aber dann ist dieser Knirps auf seinem Schrottfahrrad vor ihm aufgetaucht, und alles andere hatte auf einmal keine Bedeutung mehr. Denn dieser Junge fuhr und fuhr, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, in einem irrwitzigen Tempo, und die Haarnadelkurven nahm er absolut gekonnt und mit schier unerschöpflicher Energie.
    »Weiter, bloß nicht aufgeben! Wenn du absteigst, brech ich dir die Knochen! Bis ganz rauf, los, du schaffst es, eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei!«
    Der Junge taumelt kurz, doch er sieht die Motorhaube von hinten immer näher kommen und tritt weiter in die Pedale, kraftvoll und verzweifelt. Er ist unverkennbar am Ende, er spreizt die Knie, der Oberkörper wankt, aber er kämpft sich weiter den Berg hoch. Auch dann noch Kräfte zu mobilisieren, wenn alle Energie verbraucht ist, das ist das Geheimnis der großen Radrennfahrer. Wir alle verfügen über Kräfte, wir alle können sie mobilisieren. Aber ein Champion holt selbst dann noch etwas aus sich heraus, wenn alle Reserven aufgebraucht sind. Und dieser kleine Teufelskerl hier vor ihm ist ein Champion.
    »Eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei! Gleich hast du’s geschafft, gleich hast du’s geschaaaaaaaaafft!«
    Der Knirps nimmt die letzte Kurve, vor ihm taucht schon die Kuppe des Bergrückens auf, er steht in den Pedalen, den Kopf gesenkt, wirft sich von einer Seite auf die andere wie die echten Bergfahrer, wenn sie in einer Art Ballett den Berg erobern. En danseuse , im Wiegetritt, so heißt der Fachbegriff. Wie Charly Gaul, wie José Manuel Fuente – und wie diese halbe Portion hier auf einer abgelegenen Straße im Molise.
    Der Aufstieg ist geschafft, der Junge hält an, das Fahrrad bricht unter ihm weg. Er duckt sich, hebt die Hände, als wolle er sich ergeben, und sagt: »Signore, ich kenne Sie nicht, ich habe nichts …« Er krümmt sich noch weiter zusammen und kotzt.
    Roberto lässt das Auto mitten auf der Straße stehen, beim Aussteigen stößt er sich das Knie an und verflucht den Himmel und seine Bewohner, dann reißt er sich zusammen und rennt zu dem Jungen mit den ängstlich aufgerissenen Augen. Der schlägt die Hände vors Gesicht und stellt sich auf den ersten Hieb ein.
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