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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Autoren: Fabio Genovesi
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mittelmäßigen Schülern macht.
    Neulich, vor der Klassenarbeit in Italienisch, ist Damiano Cozzi persönlich zu ihm an den Platz gekommen. Der große, kräftige Kerl hatte sich so vor ihm aufgebaut, dass sein Schatten die Schulbank verdunkelte.
    »Hör zu, du Wichser, weißt du, was passiert, wenn ich heute keine Fünf schaffe? Die schicken mich arbeiten. Und weißt du auch, wohin? Zu meinem Onkel, der zieht die Toten an, das ist sein Beruf. Wusstest du, dass die Toten angezogen werden? Sie werden angezogen, und vorher werden sie gewaschen. Ich weiß nicht, wie ein Toter gewaschen wird, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber wenn du diesmal wieder eine Eins schreibst und der Lehrer wieder damit anfängt, dass wir im Vergleich zu dir jämmerliche Nieten sind, bin ich am Arsch. Und dann kannst du Gift drauf nehmen, dass der erste Tote, den ich anziehe, du bist. Klar soweit?«
    Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, hatte er sich Mirkos Füller gegriffen und mit zwei Fingern zerbrochen, einfach so. Wäre gar nicht nötig gewesen. Mirko hatte sehr gut verstanden, weshalb er auch den schrägsten Aufsatz überhaupt geschrieben hatte. Heute Morgen dann war der Lehrer völlig aufgelöst in den Unterricht gekommen.
    »Kinder, ich hatte euch Weihnachten und das Konsumverhalten als Thema gegeben, weil es in diese Jahreszeit gehört und ich eure Meinung dazu erfahren wollte. Aber euer Mitschüler Mirko Colonna hat sich nicht daran gehalten und darüber geschrieben, warum Lehrer sein ein armseliger und beschämender Beruf ist. Ich habe seinen Aufsatz wieder und wieder gelesen und bin jetzt hier, um mich von euch zu verabschieden, weil ich hier aufhöre.«
    Die Direktorin kam rein, und alle standen auf, nur Damiano Cozzi blieb auf seinen Stuhl gefläzt, der für seinen Hintern viel zu klein ist. Er wusste, wie es ausgehen würde, und das Einzige, woran er denken konnte, war die Frage, ob die Leichen auch untenrum gewaschen werden müssen.
    »Herr Giannaccini, ich bitte Sie, lassen Sie es sich doch noch einmal durch den Kopf gehen. Jetzt, wo Sie verbeamtet sind …«
    »Frau Direktorin, Beamter oder nicht, was bedeutet das schon … Lesen Sie mal diesen Aufsatz, ich bitte Sie darum, und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.« Er hielt ihr das Blatt hin, aber die Direktorin hob abwehrend die Arme und wich zurück, als hätte man ihr einen Skorpion unter die Nase gehalten, dann suchte sie das Weite.
    Auch Mirko Colonna suchte das Weite. Er bat um die Erlaubnis, aufs Klo zu gehen, und flüchtete dann aus der Schule. Man würde ihm die Hölle heißmachen, vielleicht würde er von der Schule fliegen, aber das war immer noch besser, als von Damiano Cozzi umgebracht zu werden. Zu Hause kam ihm die Idee mit dem Schlitten, und jetzt würden ihn die Hunde des Schäfers fressen. Also stimmt es doch: Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen.
    Die Hunde sind hinter ihm her und knurren. Sie haben keine Ahnung von Fahrrädern und verbeamteten Lehrern und Klassenarbeiten, aber vielleicht haben sie eine Ahnung vom Schicksal. Und mit Sicherheit verstehen sie sich aufs Laufen.
    Mirko hat den Waldrand erreicht, jetzt ist die Straße asphaltiert. Er möchte abwärts fahren, aber dann wären die Hunde sofort bei ihm, er muss also wenden und den Anstieg zum Monte Muletto nehmen. Er erhebt sich aus dem Sattel und tritt mit aller Kraft in die Pedale. Der harte, glatte Asphalt ist für die Hunde ungewohnt, und es dauert eine Weile, bis sie damit zurechtkommen.
    Jetzt zählt jede Sekunde, die Straße wird richtig steil, und dieses Stück Fleisch, das da vor ihnen auf und ab hopst, muss allmählich die Anstrengung spüren. Sogar die Tiere spüren sie, obwohl sie vier Beine haben und Laufen ihre Natur ist. Wie muss es dann erst dem Jungen gehen. Er strampelt sich ab, beugt den Oberkörper ganz weit nach vorn. Die Bestien wittern seinen Schweiß. Sie haben Blut geleckt und stellen sich schon auf einen Kampf um die zartesten Happen ein.
    Aber es ist unglaublich, der Junge gibt nicht auf. Das gierige Knurren hinter ihm und das letzte Fünkchen Überlebenswillen: Vielleicht ist es das, was ihm die Kraft gibt, erneut im Stehen zu fahren. Doch die Kurven werden immer steiler, und die nächste steht wie eine Mauer vor ihm. Keuchend wendet der Junge den hochroten Kopf, die Hunde sind ihm auf den Fersen, sie kommen immer näher …
    Und dann, plötzlich, hinter ihnen, hinter dem Jungen und den Hunden und inmitten dieses Kampfs aller drei ums
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