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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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Schluck Kaffee aus meinem Becher, auf dem stand: »Schieb mir Koffeinfreien unter und du bist tot.« Den hatte ich ins Büro mitgebracht, nachdem Bert, unser Boss, Koffeinfreien in die Kaffeemaschine geschüttet hatte, weil er glaubte, keiner würde es merken. Das halbe Büro dachte eine Woche lang, wir hätten das Pfeiffersche Drüsenfieber, bis wir Berts feigen Anschlag aufdeckten.
    Der Kaffee, den unsere Sekretärin Mary für Mr Harlan gebracht hatte, stand am Rand meines Schreibtischs. Es war die Tasse mit unserem Firmenlogo. Nachdem er sie entgegengenommen hatte, hatte er einen winzigen Schluck getrunken. Er hatte ihn schwarz haben wollen, trank aber, als schmeckte der Kaffee nicht oder als wäre ihm egal, wie er schmeckt. Er hatte ihn nur aus Höflichkeit angenommen.
    Ich trank meinen Kaffee mit viel Zucker und Sahne, um meinen nächtlichen Arbeitseinsatz zu kompensieren. Koffein und Zucker, die beiden grundlegenden Nahrungsgruppen.
    Mr Harlans Stimme war wie er selbst, auffällig unauffällig. Er sprach völlig akzentfrei. »Ich möchte, dass Sie einen meiner Vorfahren erwecken, Ms Blake.«
    »So hörte ich.«
    »Sie scheinen daran zu zweifeln, Ms Blake.«
    »Ich bin von Natur aus skeptisch.«
    »Warum sollte ich herkommen und Sie belügen?«
    Ich zuckte die Achseln. »Manche Leute tun das.«
    »Ich versichere Ihnen, Ms Blake, ich sage die Wahrheit.«
    Leider glaubte ich ihm das nicht. Vielleicht war ich paranoid, doch unter meiner adretten dunkelblauen Jacke hatte ich am linken Arm ein Sammelsurium von Narben, von dem kreuzförmigen Brandmal, das mir der Diener eines Vampirs beigebracht hatte, über etliche glatte Messernarben bis zu dem Liniengewirr, das von den Krallen einer Hexe stammte. Am rechten Arm hatte ich bloß eine Messernarbe, vergleichsweise nichts. Und es waren noch mehr unter dem dunkelblauen Rock und dem königsblauen Stricktop versteckt. Seide glitt gut über glatte Haut, störte sich aber auch nicht an rauem Narbengewebe. Das Recht, paranoid zu sein, hatte ich mir jedenfalls verdient.
    »Welchen Vorfahren wollen Sie erweckt haben und warum?« Ich lächelte freundlich, aber nicht mit den Augen. Für ein echtes Strahlen musste ich mich neuerdings anstrengen.
    Er lächelte ebenfalls, und seine Augen blieben davon so unberührt wie meine. Lächeln, weil man angelächelt wird, nicht weil es etwas bedeutet. Er griff nach seiner Tasse, und diesmal fiel mir in seiner linken Jacketthälfte ein Gewicht auf. Er trug kein Schulterholster – das hätte ich sofort bemerkt –, doch es war etwas Schwereres als eine Brieftasche. Da waren eine Menge Dinge vorstellbar, aber mein erster Gedanke war: Kanone. Ich habe gelernt, meinen ersten Gedanken zu vertrauen. Wenn wirklich Leute hinter einem her sind, ist Vorsicht keine Paranoia.
    Meine Waffe steckte im Schulterholster unter meinem linken Arm. Das sorgte zwar für Chancengleichheit, aber ich wollte mein Büro nicht in den O. K. Corral verwandeln. Mr Harlan war bewaffnet. Vielleicht. Wahrscheinlich. Natürlich konnte es auch ein richtig schweres Zigarrenetui sein. Ich hätte allerdings fast alles darauf gewettet, dass es eine Schusswaffe war. Nun konnte ich entweder dasitzen und mir den Verdacht ausreden oder ich konnte mich verhalten, als hätte ich damit recht. Wenn ich mich irrte, könnte ich mich später entschuldigen; wenn ich recht hatte, würde ich am Leben bleiben. Lieber ungehobelt und am Leben, als höflich und tot.
    Ich unterbrach den Vortrag über seinen Stammbaum. Ich hatte kaum etwas mitgekriegt. Ich war auf das Gewicht in seiner Innentasche fixiert. Nichts war mir wichtig, bis ich genau wusste, ob’s eine Schusswaffe war oder nicht. Ich setzte ein Lächeln auf und drängte es bis in meine Augen. »Was tun Sie eigentlich beruflich, Mr Harlan?«
    Er holte eine Winzigkeit tiefer Luft und richtete sich in seinem Stuhl auf, aber beides war kaum zu bemerken. Es war die unauffälligste Anspannung, die ich je bei einem Mann gesehen hatte. Und seine erste wirklich menschliche Regung. Normalerweise rutschen die Klienten vor mir auf ihrem Stuhl herum. Harlan tat das nicht.
    Die Leute haben nicht gern mit jemandem zu tun, der Tote aufweckt. Fragen Sie mich nicht warum, aber sie sind dann nervös. Harlan war nicht nervös, er war überhaupt nichts. Er saß mir bloß gegenüber, mit kalten, nichtssagenden Augen und freundlich leerem Gesichtsausdruck. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass er über den Grund seines Kommens log und dass er eine Schusswaffe
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